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Die Metapher Vom blauen zum grunen Allgau soll den Wechsel vom Flachsanbau zur Milchwirtschaft insbesondere im West und Oberallgau des 18 und 19 Jahrhunderts symbolisieren Belgisches Leinfeld zur BlutezeitAllgauer Graslandschaft Inhaltsverzeichnis 1 Ursprung 2 Zweifel 3 Quellenlage 4 Bewertungsaspekte 5 Schlussfolgerung 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseUrsprung BearbeitenDer Pfarrer und Dichter Peter Dorfler machte das Wortspiel uber den Landschaftsfarbwechsel in seiner 1934 bis 1936 verfassten Allgau Trilogie einem viel gelesenen Romanwerk uber den Kasepionier Carl Hirnbein in der Offentlichkeit bekannt Das haufige unreflektierte Wiederholen in Veroffentlichungen der Werbeliteratur und Heimatkunde verfestigte diese Vorstellung mehr und mehr und behinderte ein fachkundiges Aufarbeiten 1 S 81 Moglicherweise wurde Dorfler aber nur missverstanden denn bevor in seiner Allgau Trilogie von zwei blauen Himmeln dem oberen und dem unteren schwarmt schreibt er von einem bunten Teppich dunkel von den Waldern auf den Hohen smaragden von den Matten und Egarten lichtgelb von den Hafer und Gerstenackern und himmelblau in der Blutezeit der Flachsfelder wobei der geringste Teil in der Regel am Schluss genannt wird 2 S 91 Zweifel BearbeitenDie heutigen Landwirtschaftsbetriebe im Allgau sind spezialisierte Produktionsstatten zur Milcherzeugung auf der Grundlage von moglichst grossflachig maschinell bewirtschaftbaren Grunlandflachen Die daruber hinausgehende Eigenversorgung beschrankt sich auf Holzernte und Kleintierzucht Der sonstige Bedarf fur die Lebensfuhrung wird mit dem Erlos aus der Milchwirtschaft und zu einem kleinen Teil aus dem Tourismus Feriengaste bestritten Die extensive Grunlandwirtschaft verleiht dem Allgau heute unzweifelhaft eine dominante grune Farbe Andererseits wird die Annahme das Allgau habe sich in fruherer Zeit durch den bluhenden Flachs in tiefem Blau prasentiert mehr und mehr bestritten Bis zur Mitte des 19 Jahrhunderts stand die Eigenversorgung im Vordergrund Die Bauern betrieben unter schwierigen Bedingungen den Anbau von Getreide und Feldfruchten sowie Tierhaltung Flachsanbau und Handspinnerei diente ebenfalls dem Eigenbedarf und gab nur in beschranktem Umfang die Moglichkeit des Gelderwerbs Die Flachsfelder konnten nur einen sehr kleinen Anteil an der Gesamtagrarflache eingenommen haben Wenn der heute so gern verwendete Spruch Vom blauen zum grunen Allgau Gultigkeit haben soll verlangt er fur die Ausgangsposition eine innerhalb des Jahres langandauernde flachendeckende blaue Farbe fur die Allgauer Landschaft Ob es diese Situation wirklich gegeben hat ist aber mehr als fraglich Andreas Kurz 1 und Heinz Mosslang 2 haben die einzelnen Anforderungselemente untersucht und ihre Ergebnisse dargestellt Quellenlage BearbeitenAugenzeugenDer weiten Kreisen als Urheber der Aussage geltende Peter Dorfler kann die blaue Landschaft selbst nicht gesehen haben Seine Veroffentlichung stammt aus den 1930er Jahren Zu dieser Zeit lag die Veranderung zur Grunlandkultur bereits 50 bis 100 Jahre zuruck Dass er sie von einem literarischen Vorganger ubernommen hat konnte bis jetzt nicht belegt werden Auch gibt die zeitgenossische Malerei keinen von blauer Farbe dominiertes Allgau wieder Fruhe ZeitZum Anbau der Flachspflanzen im Allgau fehlen bis in die Mitte des 19 Jahrhunderts Statistiken nach heutigen Massstaben Viele Abgabenordnungen und Abrechnungen in den Dokumenten der Lehnsherren Kloster Grafen Kleinadligen zeigen jedoch dass der Flachsanteil auf jeden Fall nur eine unbedeutende Rolle unter den Anbaukulturen spielte 1 19 JahrhundertBei der grundsatzlich sparlichen Quellenlage weist die 1873 erschienene Darstellung Das Landvolk des Allgaus in seinem Thun und Treiben des Pfarrers und Reichstagsabgeordneten Joseph Schelbert 1834 bei Sonthofen darauf hin dass in der Zeit vor der Blute der Milchwirtschaft der Anbau von Korn eine grosse Bedeutung hatte Nur nebenbei habe man sich mit dem Flachsanbau und der Leinwandweberei beschaftigt 2 S 91 In der Agricole Statistik 1830 wird der Flachsanbau beispielsweise fur die Gemeinde Oberreute mit 24 Tagwerken angegeben das entspricht nur 0 7 der gesamten Gemeindeflache gegenuber 840 Tagwerken Acker insgesamt also verschwindend gering 2 S 92 Bewertungsaspekte BearbeitenAnbaumenge versus BedarfFlachs oder Lein hatte als Ausgangspflanze seit dem Mittelalter bis zum Aufkommen der Baumwolle eine wichtige Funktion fur die Herstellung des Leinfadens seinem Verweben zur Leinwand und damit der Produktion von Kleidung Er wurde uber den Eigenbedarf der Agrargesellschaft hinaus dort verstarkt angebaut wo sich wirtschaftliche Vorteile ergaben Dies scheint jedenfalls nicht das verkehrstechnisch und ackerbautechnisch schlecht erschlossene Allgau gewesen zu sein Im Gegenteil sind immer wieder vergebliche Anregungen und Forderungen zu finden die Flachsproduktion musse in der Region gefordert werden um den Webern die teure Rohstoffeinfuhr zu ersparen Flachs und Hanf werden nur in einer Quantitat erzeugt welche den gesamten Bedarf der Gemeinde Angehorigen nicht vollstandig deckt Uberschuss zum Verkauf ergiebt sich keiner Den Flachs und Hanfbau mehr erweitern und ins Grossere ausdehnen halten die Meisten als nicht vorteilhaft weil sie in der dazu erforderlichen Zeit mit Strohhut Arbeit mehr verdienen und auf dem Felde und mit dem erforderlichen Dunger leichter etwas anderes anbauen konnen Der Hinweis bezieht sich auf das Westallgauer Zentrum Lindenberg Weiler wo die bauerlichen Nebenerwerbskapazitaten mit der Strohhutproduktion ausgelastet waren 1 S 85 Anm 37 1819 ausserte der 1809 10 als Oberschreiber Jurist am Landgericht Weiler tatige Franz von Miller spater Nationalokonom und Nachfolge Friedrich Lists in einer Denkschrift Notwendig sei vor allem ein gesteigerter Anbau von Lein zur Gewinnung von moglichst viel Flachs damit es nicht an Rohstoffen mangle Das Garn musse im eigenen Land hergestellt werden damit die Weber nicht bis zu zwei Drittel hievon einfuhren mussten 1 S 85 Anm 38 Beschrankte HeimarbeitskapazitatIn der heutigen Grunlandwirtschaft stellt Gras das alleinige Produkt einer Agrarindustrie dar Fruher dagegen in der Selbstversorgerlandwirtschaft war Flachs nicht das Haupt sondern nur ein Nebenprodukt eines bauerlichen Hofes Die Erzeugung von Leinwand aus den Flachs bestand zudem aus vielen Arbeitsgangen und lastete eine Bauernfamilie bereits mit einer Flachsanbauflache von 1 4 Tagwerk vollig aus 2 S 93 85 Hinzu kommt dass im oberen Westallgau Lindenberg Weiler Heimenkirch die Heimarbeitskapazitaten mit der wirtschaftlich ergiebigeren Strohhutfabrikation voll ausgelastet waren nbsp Gemeiner LeinFarbe nur wahrend BlutezeitWahrend die grune Farbe des Grases die gesamte Wachstumsperiode abdeckt ist die blaue Farbgebung auf die Blutezeit der Flachspflanze beschrankt Innerhalb der infrage kommenden drei Monate Juni bis August betragt die Bluhdauer eines Bestandes vom Offnen der ersten bis zum Schliessen der letzten Blute beim Faserlachs lein nur etwa ein bis zwei Wochen 3 Sonderkultur wegen FruchtfolgeFlachs benotigte durch den starken Nahrstoffentzug einen Anbauzyklus der innerhalb von sechs Jahren nur eine Anbauperiode zuliess und mit dem Dreijahresrhythmus der Hauptfruchte Dreifelderwirtschaft nicht vereinbar war Damit hatte die sechsjahrige Fruchtfolge fur die Flachspflanze auch bei theoretischer voller Nutzung der gesamten Anbauflache maximal ein Sechstel davon fur den Flachs zugelassen 1 S 86 Anm 42 Der Flachsanbau war deshalb von vorneherein auf hofnahe Kleinkulturflachen mit Sonderrechten beschrankt die nicht dem Flurzwang unterworfen waren und die durch Flechtzaune vor dem ausgetriebenen Vieh geschutzt waren Der Flachs teilte sich diese sogenannten Beunten mit Hanf Gemuse und Tierfutter 1 S 87 88 Schlussfolgerung BearbeitenBei den kleinen Anbauflachen fur den Flachs kann sich nur um sporadische kleine blaue Farbtupfer in der Landschaft gehandelt haben Selbst Dorfler schrieb von einem Teppich und sprach von himmelbblauen Rechtecken ohne ihre Grosse anzugeben 2 S 96 Zuletzt bezeichnet der Autor und bekannte Film und Fernsehregisseur Leo Hiemer in seinem neuesten Werk Carl Hirnbein Der Allgau Pionier das geflugelte Wort vom blauen Allgau das Hirnbein zum grunen gemacht habe als liebgewordenes Klischee 4 Literatur BearbeitenAndreas Kurz 5 Flachs als Sonderkultur im Allgau In Jahrbuch des Landkreises Lindau 2001 S 81 90 Heinz Mosslang 6 Oberreute in der Zeit des blauen Allgaus In Jahrbuch des Landkreises Lindau 2001 S 91 96 Peter Dorfler Allgau Trilogie Romane im Einzelnen 1 Der Notwender 2 Der Zwingherr 3 Der Alpkonig G Grote 1934 1936 Leo Hiemer Peter Elgass Hrsg Carl Hirnbein Der Allgau Pionier Verlag Hephaistos Immenstadt Werdenstein 2012 ISBN 978 3 931951 70 2 Joseph Schelbert Das Landvolk des Allgaus in seinem Thun und Treiben Feuerlein Kempten 1873 Nachdruck Allgauer Zeitungsverlag Kempten 1983 ISBN 3 88006 088 6 Siegbert Eckel Wo der Flachs nur sparlich stand In Heimat Allgau Verlag Hephaistos Immenstadt 2011 Ausg 2 S 30 32 Weblinks BearbeitenBesprechung des Buches Leo Hiemer Carl Hirnbein Der Allgau Pionier in Webprasenz Kultur Oberallgau Memento vom 5 September 2013 im Internet Archive Flyer zur Prasentation Memento vom 14 Juli 2014 im Internet Archive Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e f g Andreas Kurz Flachs als Sonderkultur im Allgau 2001 a b c d e f Heinz Mosslang Oberreute in der Zeit des blauen Allgaus 2001 Gemeiner Lein Wikipedia Artikel Leo Hiemer Peter Elgass Hrsg Carl Hirnbein Der Allgau Pionier 2012 Leiter des heimatkundlichen Dokumentationszentrums des Landkreises Lindau Bodensee Ortsheimatpfleger in Oberreute Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vom blauen zum grunen Allgau amp oldid 229025097