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Die Transferstelle Warschau war wahrend der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg vom 1 Dezember 1940 an fur den Personen und Wirtschaftsverkehr mit dem judischen Wohnbezirk Warschau und damit auch fur dessen Lebensmittelversorgung zustandig Die Lebensmittellieferungen durch die Transferstelle sollten zuerst ausschliesslich durch die Ubergabe von angeblich verborgenem judischen Vermogen und begehrten Gutern finanziert werden Dabei war ein Hungersterben in Kauf genommen Ende April 1941 wurde die Transferstelle neu ausgerichtet Sie sollte Produktionsstatten schaffen damit sich das Ghetto aus eigener Wirtschaftskraft versorgen konnte Mit Beginn der Auflosung des Warschauer Ghettos ab Juli 1942 war die Transferstelle nur noch mit der eigenen Abwicklung beschaftigt Inhaltsverzeichnis 1 Die Transferstelle bis Fruhjahr 1941 2 Tatigkeit unter Max Bischof 3 Liquidierung der Transferstelle 4 Deutungen 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseDie Transferstelle bis Fruhjahr 1941 BearbeitenAuf Anordnung von Waldemar Schon dem Leiter der deutschen Distriktsverwaltung sollte vom 1 Dezember 1940 an die Transferstelle Warschau den Wirtschaftsverkehr zwischen dem judischen Wohnbezirk Warschau und der Aussenwelt regeln und kontrollieren Erster Leiter der Transferstelle zunachst einer Untergruppe der Abteilung Umsiedlung fur den judischen Wohnbezirk war Alexander Palfinger der spater ab Mai 1941 als Judenreferent in Tarnopol eingesetzt wurde Durch die Abschliessung des Ghettos verscharfte sich die Hungersnot denn die Lebensmittellieferungen die ausschliesslich uber die Transferstelle abgewickelt werden sollten waren an die Ubergabe judischer Werte gebunden Wareneinkaufe sollten nur gegen entsprechende Vorauszahlungen in Waren und Devisen seitens des Judenrats erfolgen 1 Dabei war absehbar dass der Ernahrungsbedarf der im Ghetto eingeschlossenen Juden auf diese Weise nicht gedeckt war Gerechnet wurde mit 622 kcal je Person mit 955 kcal fur Arbeiter und Hochstsatzen von 1308 kcal fur Schwerstarbeiter 2 In einer Besprechung fuhrender deutscher Besatzungsfunktionare wurde am 3 April 1941 kontrovers diskutiert wie die defizitare Zahlungsbilanz des Wirtschaftsverkehrs ausgeglichen werden konne Rohstoffe mussten in das Ghetto hinein und fertige Waren herausgebracht werden 3 Um die Wirtschaft im Ghetto in Gang setzen zu konnen wurde ein Kreditbedarf von 30 bis 40 Millionen Zloty angenommen 4 Eine Gutachterkommission hatte bemangelt der Transferstelle fehle eine rechtliche Grundlage um Kredite fur eine Auftragsabwicklung aufnehmen zu konnen 5 Daher wurde die Transferstelle im Mai 1941 zur Anstalt offentlichen Rechts deklariert zugleich wurde der Bankier Max Bischof bislang Koordinator der polnischen Banken im Generalgouvernement als Leiter eingesetzt 6 Tatigkeit unter Max Bischof BearbeitenAls Ziele nannte Bischof den Einsatz der judischen Arbeitskrafte nach den kriegswirtschaftlichen Notwendigkeiten fur den Unterhalt des Ghettos sollten die finanziellen Aufwendungen aus staatlichen Mitteln moglichst gering gehalten werden Bischof warb deshalb intensiv fur die Ansiedlung privatwirtschaftlicher polnischer und deutscher Betriebe 7 die wegen ausserordentlich geringer Lohnkosten grosse Gewinne erwarten durften Um eine Art freie Marktwirtschaft zu fordern wurden kontraproduktive Massnahmen wie etwa Beschlagnahmen eingestellt Im Juni 1941 waren rund 36 000 Beschaftigte registriert geschatzt 15 000 waren in Kleinstbetrieben oder Heimarbeit tatig 8 aber rund 76 000 waren noch als arbeitssuchend gemeldet 9 Fur die Ansiedlung von Unternehmen warb auch die Deutsche Firmengemeinschaft Warschau GmbH der zudem die Verantwortung uber die vormals vom Judenrat gelenkte Judische Produktionsgesellschaft ubertragen wurde Zu den bekanntesten deutschen Unternehmen gehorten die Danziger Firma Bernhard Hallmann amp Co Tischlerei Schultz amp Co Leder Filz und Pelzwaren Danzig Oschmann Leszcynski Kleiderfabrikation Wilhelm Doring Apparatebau GmbH und mit 20 000 Beschaftigten Walter Caspar Tobbens Kleiderfabrikation Bremen Die monatlichen Ausfuhrleistungen an Lohnarbeit und Fertigwaren stiegen von 50 000 Zloty uber 3 6 Millionen Zloty im Dezember 1941 auf 16 5 Millionen Zloty im Juli 1942 10 Die Transferstelle erhob Gebuhren fur Genehmigungen im Warenverkehr der uber ein eigenes Umschlaglager lief Strittig war zwischen Stadtverwaltung Finanzinspektion und der Transferstelle wie anfallende Kosten fur Mullabfuhr Beleuchtung Abwasser und Stadtreinigung und fur die Lieferung von Wasser Strom und Gas ins Ghetto beglichen werden sollten 11 Fur die beschaftigten Juden und ihre Angehorigen sicherte der okonomische Erfolg ein Uberleben er beseitigte aber nicht den katastrophalen Mangel im gesamten Ghetto Die Sterberaten blieben 1941 und 1942 hoher als in Konzentrationslagern im Deutschen Reich 12 Liquidierung der Transferstelle BearbeitenMit Wirkung vom 1 September 1942 gingen die verbliebenen Rustungsbetriebe in die Regie des SS und Polizeifuhrers uber und die Arbeit der Transferstelle war formlich beendet 13 Danach war die Transferstelle 1942 hauptsachlich mit ihrer eigenen Abwicklung und der Kundigung ihrer etwa siebzig deutschen Mitarbeiter beschaftigt Die Dienststelle leistete daneben noch Hilfsdienste bei der Organisation von Ernahrungszulagen fur die SS die nunmehr die alleinige Zustandigkeit fur das Leben und Sterben im Ghetto ubernommen hatte 14 Deutungen BearbeitenIm Ghetto war Arbeit die einzige Moglichkeit um die grundlegenden materiellen Bedurfnisse zumindest annahernd befriedigen zu konnen Zwangsarbeit im engeren Sinne war nicht erforderlich und die ubergrosse Anzahl der arbeitenden Juden war bis Mitte 1942 weitgehend aus eigenem Willensentschluss und gegen Entlohnung in Form von Bargeld oder Nahrungsmitteln tatig 15 Aber schliesslich obsiegte der eliminatorische Rassenwahn uber die wirtschaftliche Vernunft trotz der umfangreichen wertschaffenden Arbeit der im Warschauer Ghetto lebenden Juden begann im Sommer 1942 deren Vernichtung Mit den Deportationen in die Vernichtungslager loschten die deutschen Besatzer einen zentralen Teil der Wirtschaft des Generalgouvernements aus 16 Christopher Browning schildert Auseinandersetzungen von fuhrenden Amtstragern die im April 1941 zu einer Wende in der Ghettopolitik und damit verbunden zur veranderten Aufgabenstellung der Transferstelle fuhrten Die eine Seite wollte Lebensmittellieferungen nur zulassen wenn grossere Geldvermogen und wertvolle Guter die falschlich im Ghetto vermutet wurden dafur abgeliefert wurden Das war faktisch eine Politik der Vernichtung durch Hunger Andere rechneten nicht mit einem raschen Abtransport der Juden und wollten Produktionsstatten und Arbeitsplatze schaffen so dass eine minimale Versorgung der Ghettobewohner ohne offentliche Subventionen erreicht werden konnte 17 Mit der im Juli 1942 beginnenden Liquidierung des Ghettos wurden die sich anbahnenden wirtschaftlichen Erfolge der Transferstelle die zu einer besseren Versorgung hatten fuhren konnen zunichtegemacht 18 Anders schatzen Gotz Aly und Susanne Heim die Wirkung der Transferstelle ein 19 Eine scharfere Absperrung des Ghettos habe den Schwarzhandel gedrosselt und die Lebensmittelpreise in die Hohe schnellen lassen Samtliche Vergunstigungen die der Judenrat fur die Bedurftigsten eingefuhrt hatte seien abgeschafft worden Die Menge der ins Ghetto gelangten Nahrungsmittel sei in keiner Weise erhoht worden die Lebensmittel seien nur zu Lasten der unproduktiven Menschen anders verteilt worden Die Zahl der Hungertoten stieg nachweislich rapide an Unmittelbar Schuld daran truge die neu organisierte Transferstelle die satzungsgemass fur die Bedarfsdeckung im Ghetto verantwortlich zeichnete 20 Literatur BearbeitenGotz Aly Susanne Heim Vordenker der Vernichtung Auschwitz und die deutschen Plane fur eine neue europaische Ordnung Frankfurt Main 1993 ISBN 3 596 11268 0 S 312 330 Giles Bennett Die Arbeitsbedingungen der Warschauer Juden 1941 1942 Max Bischof und die Transferstelle Warschau In Jurgen Hensel Stephan Lehnstaedt Hrsg Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos Osnabruck 2013 ISBN 978 3 938400 92 0 S 91 110 Christopher R Browning Der Weg zur Endlosung Reinbek 2002 ISBN 3 499 61344 1 S 48 65 Georg Griensteidl Die Transferstelle in Warschau unter der Leitung von Max Georg Bischof vor dem Hintergrund der Geschichte der Juden in Polen und der Geschichte des Generalgouvernements Diplomarbeit Wien 2006 nicht eingesehen Georg Griensteidl Klaus Emmerich Der Mann aus dem Ghetto Die ungewohnliche Geschichte des Max Bischof Halle 2010 nicht eingesehen Weblinks BearbeitenVolkischer Beobachter Artikel vom 20 August 1941 uber deutsche Arbeitsauftrage an Handwerker im Getto Warschau VEJ 9 4 Einzelnachweise Bearbeiten Giles Bennett Die Arbeitsbedingungen der Warschauer Juden 1941 1942 In Jurgen Hensel Stephan Lehnstaedt Hrsg Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos Osnabruck 2013 ISBN 978 3 938400 92 0 S 94 Giles Bennett Die Arbeitsbedingungen der Warschauer Juden 1941 1942 In Jurgen Hensel Stephan Lehnstaedt Hrsg Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos Osnabruck 2013 ISBN 978 3 938400 92 0 S 96 Dokument VEJ 4 263 in Klaus Peter Friedrich Bearb Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 4 Polen September 1939 Juli 1941 Munchen 2011 ISBN 978 3 486 58525 4 S 568 572 hier S 570 Klaus Peter Friedrich Bearb Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 4 Polen September 1939 Juli 1941 Munchen 2011 ISBN 978 3 486 58525 4 S 571 Giles Bennett Die Arbeitsbedingungen der Warschauer Juden 1941 1942 In Jurgen Hensel Stephan Lehnstaedt Hrsg Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos Osnabruck 2013 ISBN 978 3 938400 92 0 S 95 Klaus Peter Friedrich Bearb Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 9 Polen Generalgouvernement August 1941 1945 Munchen 2013 ISBN 978 3 486 71530 9 S 116 mit Anm 16 Klaus Peter Friedrich Bearb Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 9 Polen Generalgouvernement August 1941 1945 Munchen 2013 ISBN 978 3 486 71530 9 S 123 Giles Bennett Die Arbeitsbedingungen der Warschauer Juden 1941 1942 In Jurgen Hensel Stephan Lehnstaedt Hrsg Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos Osnabruck 2013 ISBN 978 3 938400 92 0 S 104 Christopher R Browning Der Weg zur Endlosung Reinbek 2002 ISBN 3 499 61344 1 S 63 Ingo Loose Kredite fur NS Verbrechen die deutschen Kreditinstitute in Polen und die Ausraubung der polnischen und judischen Bevolkerung 1939 1945 Munchen 2007 ISBN 978 3 486 58331 1 S 353 354 Ramona Brau Die Plunderung Polens Die Reichsfinanzverwaltung in den Jahren der Besatzung 1939 1945 Berlin und Boston 2021 ISBN 978 3 11 071793 8 S 267 Giles Bennett Die Arbeitsbedingungen der Warschauer Juden 1941 1942 In Jurgen Hensel Stephan Lehnstaedt Hrsg Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos Osnabruck 2013 ISBN 978 3 938400 92 0 S 107 Helge Grabitz Wolfgang Scheffler Letzte Spuren 2 durchgesehene Auflage Berlin 1993 ISBN 3 89468 058 X S 175 Giles Bennett Die Arbeitsbedingungen der Warschauer Juden 1941 1942 In Jurgen Hensel Stephan Lehnstaedt Hrsg Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos Osnabruck 2013 ISBN 978 3 938400 92 0 S 106 Stephan Lehnstaedt Die deutsche Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement und die Juden In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 60 2012 H 3 S 439 Stephan Lehnstaedt Die deutsche Arbeitsverwaltung In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 60 2012 H 3 S 440 Christopher R Browning Der Weg zur Endlosung Reinbek 2002 ISBN 3 499 61344 1 S 51 53 Christopher R Browning Der Weg zur Endlosung Reinbek 2002 ISBN 3 499 61344 1 S 65 Gotz Aly Susanne Heim Vordenker der Vernichtung Auschwitz und die deutschen Plane fur eine neue europaische Ordnung Frankfurt Main 1993 ISBN 3 596 11268 0 S 312 330 hier S 330 Gotz Aly Susanne Heim Vordenker der Vernichtung Frankfurt Main 1993 ISBN 3 596 11268 0 S 330 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Transferstelle Warschau amp oldid 234975665