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Erste Zielsetzung aller Bewerbungsgesprache ist die Identifizierung geeigneter Bewerber fur eine zu besetzende Stelle Die Verwendung strukturierter Einstellungsinterviews ist fur diesen Zweck ein geeignetes Instrument um die speziellen Vorteile des personlichen Gesprachs zu nutzen und gleichzeitig eine methodisch zuverlassige Beurteilung zu erhalten Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um eine homogene oder eindeutig definierte Kategorie von Verfahren Je nach Anwendungsbereich Interviewer oder Zielsetzung sind verschiedene inhaltliche oder formale Aspekte unterschiedlich stark strukturiert z B gleiche Fragen fur alle Bewerber Reihenfolge der Fragen Gesprachssituation Bewertungsregeln Urteilsprozess Inhaltsverzeichnis 1 Historische Entwicklung 2 Prinzipien und Massnahmen zur methodischen Verbesserung 3 Spezielle Typen strukturierter Einstellungs Interviews 3 1 Das Behavior Description Interview BDI 3 1 1 Vorbereitung 3 1 2 Durchfuhrung 3 1 3 Ziel 3 1 4 Bewertung 3 2 Das situative Interview SI 3 2 1 Vorbereitung 3 2 2 Durchfuhrung 3 2 3 Bewertung 3 3 Das Multimodale Interview MMI 3 4 Das Biographische Eignungs Interview BEI 3 5 Vergleich der Konzepte und weitere Alternativen 4 Einzelnachweise 5 Literatur 6 Siehe auchHistorische Entwicklung BearbeitenBereits seit 1915 widmet sich die psychologische Forschung der Frage ob das Interview ein geeignetes eignungsdiagnostisches Instrument ist Bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts bemangelte der Psychologe Walter Dill Scott 1 die geringe Ubereinstimmung des Urteils mehrerer Interviewer uber dieselben Kandidaten In einer ersten umfassenden Metaanalyse uber 106 Studien errechnete Ralph Wagner 2 eine mittlere Validitat fur das Interview Verfahren von 27 Auch Eugene C Mayfield bescheinigte dem Interviewverfahren 1964 noch mangelnde Gute Objektivitat Validitat Nutzlichkeit Fairness 3 Diese Ergebnisse und die Erkenntnisse in anderen Forschungsgebieten Prozess der Urteilsbildung und Entscheidungsfindung soziale Eindrucksbildung Kontroverse zur statistischen vs klinischen Urteilsbildung zeigten die Notwendigkeit auf das Interview Verfahren methodisch zu verbessern Dabei zeigte sich in mehreren Metaanalysen 4 5 6 dass eine starkere Strukturierung des Interviews zu zuverlassigeren Ergebnissen Urteilen fuhrt und auch die Diskriminierung bestimmter Gruppen Frauen Behinderte Schwarze reduziert auch wenn nicht jede Strukturierungsmassnahme bei Interviewern und Bewerbern Zustimmung findet 4 Prinzipien und Massnahmen zur methodischen Verbesserung BearbeitenAus den Ergebnissen der Interviewforschung der 1970er und 1980er Jahre leitete Heinz Schuler 1989 folgende Prinzipien bzw Massnahmen ab die eine substantielle Verbesserung des Interviews als Auswahlmethode erwarten lassen 7 So soll eine ausreichende Qualitat der Interviewergebnisse gewahrleistet werden Anforderungsbezogene Gestaltung d h im Vorfeld wird klar geregelt welche Informationen fur die Stelleneignung relevant sind und nur diese werden abgefragt Thematische Beschrankung des Interviews auf diejenigen Merkmale die nicht anderweitig zuverlassiger gesammelt werden konnen z B keine Zeugnisnoten abfragen Durchfuhrung in strukturierter bzw teil standardisierter Form vorgegebene Themenbereiche Fragenkataloge oder vollstrukturiertes Interview Verwendung geprufter und verankerter Skalen Empirische Prufung von Einzelfragen auf ihre Eignung als Erfolgspradiktoren Itemanalyse Verifizierung Bei geringem Standardisierungsgrad Einsatz mehrerer Interviewer Integration von Verfahrenskomponenten aus dem Assessment Center Trennung von Information und Entscheidung Standardisierung der Gewichtungs und Entscheidungsprozedur Klare verbindliche Regeln zur Rangreihe der Qualifikationen zur Bewertung bestimmter Antworten Vorbereitung der Interviewer durch ein verfahrensbezogenes TrainingSpezielle Typen strukturierter Einstellungs Interviews BearbeitenIm Verlauf der Interview Forschung wurden neben allgemeinen Prinzipien zur Steigerung der Urteilsgute auch versucht diese Prinzipien in konkreten Verfahren umzusetzen Die am weitesten verbreiteten werden im Folgenden kurz dargestellt Das Behavior Description Interview BDI Bearbeiten Das Behavior Description Interview BDI wurde 1986 von Janz Hellervik amp Gilmore entwickelt 8 und orientiert sich starker als andere Verfahren am Grundsatz der biographieorientierten Verfahren the best prophet of the future is the past 9 Es wird also das Verhalten des Bewerbers in vergangenen Problem und Konfliktsituationen abgefragt Vorbereitung Bearbeiten Zuerst werden im Rahmen einer Anforderungsanalyse reale erfolgsrelevante Ereignisse innerhalb der Stelle gesammelt Dazu konnen Stelleninhaber Vorgesetzte und auch Kunden anhand der Critical Incident Technique CIT Fragen gestellt werden um sowohl positives als auch negatives Verhalten in typischen Problemsituationen zu erheben Diese kritischen Ereignisse werden dann 5 10 Leistungsdimensionen zugeordnet Diese Leistungsdimensionen und die zugehorigen Ereignisse 10 20 pro Dimension bilden die Grundlage fur das Interview Durchfuhrung Bearbeiten Das BDI lauft in 5 Phasen ab Zuerst die Abfrage uberprufbarer Fakten Phase 1 dann von Fachkenntnissen und Fertigkeiten Phase 2 danach die Schilderung eigener Erfahrung und Beschreibung bisheriger Aktivitaten Phase 3 Selbst Bewertungen und Selbsteinschatzung Phase 4 und schliesslich der zentrale Aspekt die Verhaltensbeschreibung Phase 5 Wahrend des Interviews soll der Bewerber konkret nach Situationen befragt werden die jenen zuvor ermittelten kritischen Ereignissen entsprechen Abfrage nur von erfolgsrelevantem Verhalten Dabei wird auf reale tatsachlich eingetretene Situationen in der Biographie des Bewerbers abgezielt und das tatsachliche Verhalten in diesen Situationen grundlich erfragt Die Bewertung der gegebenen Antworten erfolgt dabei nicht verhaltensverankert sondern in Eigenschaftsbegriffen entsprechend den ermittelten Leistungsdimensionen Ziel Bearbeiten Ziel des BDI ist es einen Eindruck zu erhalten wie ein Bewerber sich in realen Situationen verhalten hat So soll die Abfrage von Lehrbuchwissen oder von sozial erwunschten Allgemeinplatzen vermieden werden Bewertung Bearbeiten Das BDI ist weit verbreitet und zeigt gute Validitatswerte Das Fehlen praziser Bewertungsrichtlinien erfordert jedoch geubte und in den Stellenanforderungen bewanderte Interviewer Beurteiler Das situative Interview SI Bearbeiten Latham Saari Pursell amp Campion schlugen 1980 den Typus der situativen Frage vor 10 Dieser Interviewansatz geht von der Grundidee aus dass Verhaltensintentionen gute Pradiktoren fur reales Verhalten sind und bezieht sich explizit auf die Zielsetzungstheorie von Locke amp Latham 1990 Intention als unmittelbarer Vorlaufer des Verhaltens Vorbereitung Bearbeiten Wie beim BDI steht zu Beginn eine Anforderungsanalyse anhand des CIT und die Sammlung der stellenbezogenen kritischen Ereignisse Anhand dieser Ereignisse werden konkrete Situationsvorgaben erarbeitet und fur jede Situation eine verhaltensbezogene Einstufungsskala konstruiert mit je einem Verhaltens Beispiel fur die zwei Extrempole und den Mittelwert sowie einer numerischen Kodierung Diese dient jedoch eher als Richtlinie scoring guide fur die Einordnung spaterer Antworten Durchfuhrung Bearbeiten Dem Bewerber wird eine konkrete Problemsituation vorgegeben diese situative Frage soll sich dabei so eng wie moglich an die zuvor ermittelten kritischen Ereignisse anlehnen Dann soll der Bewerber schildern wie er sich in dieser Situation verhalten wurde zukunftsorientiert BDI Es werden also Verhaltensintentionen oder kognitive Verhaltensmoglichkeiten abgefragt Dabei ist jedoch von zentraler Bedeutung dass der Bewerber weder die Anforderungsverankerungen z B kooperativ vs kompetitiv noch die mit einer Frage erhobenen Anforderungsdimension mitgeteilt bekommt er soll also frei und unbeeinflusst antworten Daruber hinaus werden jedem Bewerber die gleichen Fragen gestellt Bewertung Bearbeiten Fur das situative Interview liessen sich sowohl gute Reliabilitats als auch gute Validitatswerte belegen Die vorgegebenen prazisen Richtlinien zur Bewertung der Bewerberantworten tragt weiter zu Objektivierung des Verfahrens bei und ermoglicht den Einsatz auch von weniger erfahrenen Interviewern bezogen auf Interview und Beurteilungstechniken eine genaue Kenntnis der Tatigkeitsanforderungen ist auch hier unumganglich Das situative Interview wird von Bewerbern durchaus geschatzt zumal es ihnen die Moglichkeit gibt vorab uber typische Konfliktsituationen der Stelle informiert zu werden Das Multimodale Interview MMI Bearbeiten Hauptartikel Multimodales Interview Mit dem Multimodalen Interview MMI versucht Schuler 1992 die Defizite konventioneller Auswahlgesprache zu uberwinden 11 und vereint in diesem Verfahren sowohl konstrukt als auch simulationsorientierte und biographische Ansatze Multimodaler Ansatz Kennzeichnend fur das MMI ist die invariante Abfolge von acht Gesprachskomponenten oder Phasen von denen nur funf fur die Urteilsbildung genutzt werden wahrend die anderen drei dem naturlichen Gesprachsablauf und der Information des Bewerbers dienen Das Biographische Eignungs Interview BEI Bearbeiten Das Biographische Interview BEI von Sarges 1990 1995 2013 2021 nimmt genau wie das BDI die Vergangenheit in den Blick orientiert sich aber umfassender bzw tiefergehend als das BDI an der Biographie des Kandidaten 12 13 Die fur die Anforderungen kritischen Situationen in der Biographie werden nicht beim Kandidaten abgefragt sondern vom Interviewer aufgespurt und zwar im Berichten des Kandidaten uber seinen ausbildungs und berufsrelevanten Lebenslauf Seine methodische Basis ist ein idiographischer Zugang bei der Datenbeschaffung und die Evokation auch tieferliegender sog impliziter Gedachtnisinhalte nach spontan berichteten biographischen Inhalten Vergleich der Konzepte und weitere Alternativen Bearbeiten Alle diese Interview Konzepte basieren auf empirisch gesicherten Erkenntnissen psychologischer Forschung Die ersten beiden Konzepte stammen ursprunglich aus den USA und werden dort wie im deutschsprachigen Raum seit ca 30 Jahren in der Praxis angewendet die letzten beiden stammen aus Deutschland und werden im deutschen Sprachraum seit uber 20 Jahren genutzt Im Prinzip ist jedes dieser vier Konzepte fur die meisten Berufsfelder adaptierbar Insofern wird es auch vom personlichen Geschmack der des Interviewerin Interviewers abhangen welches der Konzepte sie er fur sich bevorzugt Allerdings durfte fur hoher und hoch qualifizierte Positionen Manager Professionals u a das BEI als weniger standardisiertes aber mehr in die Tiefe gehendes Verfahren angemessener sein weil zur Eignungseinschatzung von Kandidaten fur komplexere Funktionen in Management oder Experten Positionen standardisierte Fragen nur noch teilweise funktional 14 und daruber hinaus dieser Klientel auch nicht mehr zumutbar sind Ebenfalls aus dem deutschen Raum kommen neuerdings noch zwei weitere Konzepte a das Verhaltensbasierte Interview VI aus der Wottawa Schule 15 und b das Entscheidungsorientierte Gesprach EOG aus der Westhoff Schule 16 Das erste a kombiniert anforderungsabgestimmte psychometrische Verfahren das zweite b will als Werkzeugkasten mehr instrumentell als inhaltlich von Nutzen sein Einzelnachweise Bearbeiten Walter DillScott Scientific selection of salesmen In Advertising and Selling Magazine 1915 5 S 5 6 Ralph Wagner The employment interview A critical review In Personnel Psychology 1949 2 S 17 46 Eugene C Mayfield The selection interview A re evaluation of published research In Personnel Psychology 1964 17 S 239 260 a b M A Campion D K Palmer J E Campion A review of structure in the selection interview In Personnel Psychology 1997 50 S 655 702 A I Huffcutt W Arthur Hunter and Hunter 1984 revisited Interview validity for entry level jobs In Journal of Applied Psychology 1994 79 S 184 190 W H Wiesner S F Cronshaw A meta analytic investigation of the impact of interview format and degree of structure on the validity of the employment interview In Journal of Occupational Psychology 1988 61 S 275 290 H Schuler Interviews In S Greif H Holling N Nicholson Hrsg Arbeits und Organisationspsychologie PVU Munchen 1989 S 260 265 T Janz L Hellervik D C Gilmore Behavior Description Interviewing Allyn amp Bacon Newton MA 1986 Lord Byron zitiert nach Kwiatkowski C Einstellungsinterview II Memento des Originals vom 10 Juni 2007 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot wwwpsy uni muenster de PDF Datei 236KB G P Latham L M Saari E D Pursell M A Campion The situational interview In Journal of Applied Psychology 1980 65 S 422 427 H Schuler Das Multimodale Einstellungsinterview In Diagnostica 1992 38 S 281 300 W Sarges Interviews In W Sarges Hrsg Management Diagnostik Hogrefe Gottingen 1990 S 371 384 W Sarges BewerberInterviews und Mitarbeitergesprache Engpass Exploration In B Voss Hrsg Kommunikations und Verhaltenstrainings Verlag fur Angewandte Psychologie Gottingen 1995 S 136 156 W Sarges Interviews In W Sarges Hrsg Management Diagnostik 4 vollstandig uberarbeitete und erweiterte Auflage Hogrefe Gottingen 2013 S 575 592 C Kirbach amp H Wottawa Das verhaltensbasierte Interview Personalfuhrung 6 2008 S 48 54 K Westhoff Hrsg Das Entscheidungsorientierte Gesprach EOG als Eignungsinterview Pabst Lengerich 2009 Literatur BearbeitenWerner Sarges Biographisches Interviewen in der Eignungsdiagnostik In G Juttemann Hrsg Biographische Diagnostik Pabst Verlag Lengerich 2011 S 169 177 Artikel zum Download PDF 295 kB Werner Sarges Interviews In W Sarges Hrsg Management Diagnostik 4 vollstandig uberarbeitete und erweiterte Auflage S 575 592 Hogrefe Gottingen 2013 ISBN 978 3 8017 2385 9 Werner Sarges Das Biographische Eignungs Interview B E I Pabst Verlag Lengerich 2021 Heinz Schuler Lehrbuch der Organisationspsychologie Huber Gottingen 1995 S 247f Heinz Schuler Lehrbuch der Personalpsychologie Hogrefe Gottingen 2001 S 197 206 Heinz Schuler Das Einstellungsinterview 2 uberarbeitete Auflage Hogrefe Gottingen 2018 Stephan Kolominski Der blinde Fleck im Personalauswahlprozess Identifikation von unbewussten Faktoren im Auswahlprozess am Beispiel von Einstellungsinterviews Verlag Dr Kovac Hamburg 2009 ISBN 978 3 8300 3952 5 Siehe auch BearbeitenEignungsdiagnostik Bewerbungsgesprach Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Strukturiertes Einstellungsinterview amp oldid 236667959