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Popp und Mingel ist eine Kurzgeschichte von Marie Luise Kaschnitz Sie erschien erstmals in dem Band Lange Schatten Erzahlungen der 1960 bei Claassen in Hamburg veroffentlicht wurde Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Aufbau 3 Rezeption 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseInhalt BearbeitenEin namenloser Ich Erzahler Einzel und Schlusselkind mannlichen Geschlechts wahrscheinlich im Grundschulalter oder etwas daruber hinaus berichtet was ihm geschehen ist Weil seine realen Eltern tagsuber nicht zu Hause sind und abends wenig Zeit fur den Jungen aufwenden hat er sich eine Ersatzfamilie geschaffen von der niemand etwas weiss Popp und Mingel Harry und Luzia die Phantasieeltern und geschwister sind normalerweise in einer Kiste im Schrank verwahrt und werden nur hervorgeholt wenn der Junge mittags aus der Schule kommt und schnell wieder weggeraumt sobald das erste wirkliche Elternteil die Wohnung betritt Jeden Tag inszeniert das Kind einen herzlichen Empfang im Familienkreis Vater Popp ein alter Fussball wird in einen Sessel gesetzt von wo aus er seinen Jungsten willkommen heisst Bruder Harry eine einzelne elfenbeinerne Schachfigur fragt wie es draussen auf der Prarie gewesen sei und lasst sich spannende Geschichten erzahlen Mutter Mingel eine beinlose alte Puppe aus der bereits das Sagemehl rinnt wird in die Kuche mitgenommen wo sie dem Jungen den guten Barenschinken aufwarmt und Schwester Luzia wird beim Mittagessen von ihrem kleinen Bruder geneckt bis die Eltern einschreiten und den Jungen ermahnen sie in Ruhe zu lassen Nach dem Essen spielt der Junge den ganzen Nachmittag lang das Familienleben weiter mit Gesellschaftsspielen und kleinen Heimlichkeiten der Kinder vor den besorgten Eltern die den ganzen Tag zu Hause sitzen und auf ihren Nachwuchs warten und immer gleich besorgt um diesen sind Sie stellen damit den genauen Gegensatz zu den wirklichen Eltern des Jungen dar die die Geschichte spielt in der Nachkriegs und Wirtschaftswunderzeit in Deutschland damit beschaftigt sind das Geld fur Konsumguter wie Musiktruhe und Auto zu verdienen und ihre Bekanntschaften zu pflegen Ausserlich z B mit Nahrungsmitteln und Geld gut versorgt vermisst der Junge die Zuwendung und Fursorge die nur seine Ersatzfamilie ihm zu bieten hat denn seine reale Mutter die als Sekretarin arbeitet ist zwar abends nicht zu mude um noch mit dem Vater auszugehen findet aber Gesellschaftsspiele lastig und das Vorlesen von Buchern beschwerlich und meint ihr Junge sei ja gross genug um seine Bucher selbst zu lesen Auch die Ausfluge in den Wald mit dem neuen Auto die so verheissungsvoll angekundigt wurden finden nicht statt stattdessen nutzen die Eltern den Wagen um mit Bekannten und ohne ihren Sohn wegzufahren Dieser betont zwar dass ihm das egal sei und ihm im Auto sowieso immer schlecht werde wunscht sich aber andererseits seine Mutter moge sich doch einmal richtig den Magen verderben und deswegen bei ihm zu Hause bleiben Doch die Mutter bleibt immer rosig und gesund Eines Tages aber kummert sie sich offenbar doch intensiver um die Wohnung in der sonst oft die Betten ungemacht und die Fruhstucksutensilien nicht aufgeraumt sind wenn der Sohn aus der Schule kommt Sie entdeckt wohl die in ihren Augen nutzlosen Gegenstande in der Schachtel im Schrank wirft sie weg und fullt das Behaltnis mit Dominosteinen Als der Junge nach Hause kommt und das gewohnte Spiel beginnen will findet er seine Familie nicht mehr vor Zunehmend panisch durchsucht er die ganze Wohnung nach Popp Mingel Luzia und Harry findet sie aber selbst im Mulleimer in der Kuche nicht mehr vor Ratlos uberlegt er ob er sich andere Gegenstande auswahlen soll die seine Familienmitglieder symbolisieren konnten entscheidet sich aber gegen einen solchen Neuanfang Im Grunde konnte er so stellt er fest sich jetzt einfach der etwas verwahrlosten Bande anschliessen die taglich unter seinem Fenster pfeift und ihn herausfordert auch wenn er keinen Sinn in deren Beschaftigungen sieht die z B aus dem Einwerfen von Schaufensterscheiben und dem Aufstechen von Autoreifen bestehen Doch ehe er zu diesem Entschluss kommt weil er wie es im letzten Satz der Erzahlung heisst mit einem Mal weiss dass man kein Kind mehr ist halt er sich noch unschlussig in der Kuche auf in der das zerknullte Papier aus dem ausgeraumten Mulleimer noch auf dem Gasherd liegt Dies erweist sich als verhangnisvoll Der Junge kommt auf die Idee alle vier Flammen des Gasherdes in Betrieb zu nehmen und freut sich weil diese so warm und lebendig sind Doch er setzt damit die Abfalle auf dem Herd in Brand und die Flammen greifen rasch auf die Vorhange uber In diesem Moment kommt zum Gluck der reale Vater nach Hause und verhindert einen grosseren Wohnungsbrand Doch seitdem wird der Junge offenbar als gestort und womoglich pyroman betrachtet und vom Arzt und dem Lehrer ausgefragt wirft aber weder seinen realen Eltern die Vernachlassigung vor noch gibt er sein Geheimnis um seine zweite Familie preis Die Rettung durch den realen Vater sei ja ein Gluck gewesen nur dass dann eben hinterher die ganze Fragerei gekommen ist und die Sache mit dem Lehrer und die mit dem Doktor so als ob ich nicht ganz normal ware oder als ob ich einen Zorn auf meine Eltern gehabt hatte Und dabei hat meine Mutter doch gar nicht wissen konnen was sie da weggeworfen oder verschenkt hat und uberhaupt habe ich nichts gegen meine Eltern sie sind wie sie sind und ich mag sie gern Nur dass es eben gewisse Sachen gibt die man ihnen nicht erzahlen kann nur aufschreiben und dann wieder zerreissen wenn man allein zu Hause ist kommentiert er das Geschehen Offenbar stellen sich auch die Erwachsenen nicht die Frage ob sie eine Schuld an dem Vorkommnis tragen Aufbau BearbeitenDas Geschehen ist ruckblickend erzahlt Kaschnitz baut Spannung auf indem sie den Ich Erzahler erst berichten lasst dass er seit dem Vorfall am Tag vor Allerseelen von aller Welt gefragt wird was denn in ihm vorgegangen sei und Vorwurfe zu horen bekommt weil es ihm doch an nichts gefehlt habe Was eigentlich geschehen ist und diesen Ansturm von Fragen ausgelost hat wird lange nicht erwahnt dafur wird aber auf den ersten Seiten der Kurzgeschichte bereits klar dass die Erwachsenen die Note des vereinsamten Kindes nicht verstehen oder nicht wahrnehmen wollen In zahlreichen Einzelheiten wird hier schon das Dasein des Jungen der zu Hause keinerlei Ansprache hat geschildert Erst allmahlich wird durch Zitieren der Fragen konkretisiert dass der Vorfall etwas mit Feuer zu tun haben muss Alle Erwachsenen haben spater wissen wollen was ich am liebsten spiele und es ware ihnen recht gewesen wenn ich gesagt hatte mit der Feuerwehrleiter oder mit dem Puppenzimmer in dem ein winziger Adventskranz mit richtigen kleinen Kerzen hangt kurz mit irgend etwas das mit Feuer zu tun hat oder mit Licht Ich habe aber gesagt mit meinen kleinen Autos berichtet das Kind um kurz darauf zu erklaren Naturlich habe ich an dem Nachmittag gar nicht mit meinen Autos spielen wollen sondern mit meiner Familie aber von der wissen meine Eltern nichts und sie brauchen auch nichts von ihr zu erfahren und die Lehrer auch nicht und erst recht nicht der Arzt Und dann erst beginnt die eigentliche Erzahlung von der verlorenen Ersatzfamilie und der beendeten Kindheit Am Ende geht der Erzahler nochmals auf die Situation ein in der er sich jetzt befindet Nach wie vor unverstanden und von den Erwachsenen ausgefragt aber auch nach dem Vorfall mit dem Feuer nicht ausreichend betreut Rezeption BearbeitenPopp und Mingel fand Eingang in den Schulunterricht und in die Sekundarliteratur Die Kurzgeschichte wurde unter anderem mit Gabriele Wohmanns Roman Paulinchen war allein zu Haus verglichen deren Protagonistin die achtjahrige Paula bei ihren von modernen Erziehungsmodellen uberzeugten Adoptiveltern eine Holle der Lieblosigkeit durchleide Beide Kinder glauben sich ihrer Kindheit beraubt sehnen sich nach Gefuhlen und Geborgensein mochten wichtig und ernst genommen werden Und beide Kinder entwickelten wegen ihrer fehlgestalteten Kindheit ein gestortes Verhalten In Ruta Eidukevicienes Buch Jenseits des Geschlechterkampfes wird allerdings ausgerechnet die angebliche Brandstiftung des Ich Erzahlers bei Kaschnitz als Storung bezeichnet und nicht die vorhergegangene Schaffung der Ersatzfamilie obwohl doch eigentlich in der ganzen Kurzgeschichte deutlich wird dass der Brand nur ein zufalliges Ungluck ist die Vernachlassigung des Kindes durch die realen Eltern aber die Erschaffung einer Gegenwelt durch den Jungen notwendig gemacht hat 1 Die Qualitat der Kurzgeschichte wird in einem Artikel in der Zeit aus dem Jahr 1975 gewurdigt Eine streng gebaute in der Form eines Ringes strukturierte Geschichte deren Besonderheit in der realen Traumwelt und der zweideutigen Realitat liegt Das Reich der Phantasie ist klar das Reich der Wirklichkeit erahnt begriffen geleugnet ist ambivalent 2 Der Autor Walter Jens 3 hebt hier insbesondere die Unterschiede zwischen Kaschnitz Text und dessen Verfilmung durch Ula Stockl aus dem Jahr 1975 hervor Der Film erreiche bei weitem nicht die Qualitat der Erzahlung so der Tenor Der Traum verkam zu vager Poesie die Struktur der Phantasiefamilie wurde nicht deutlich die vier Personen Vater Fussball Mutter Puppe Bruder Schachpferd Schwester Luftballon gewannen keine Identitat die Realitat wurde in der Form eines naturalistischen Spektakels auf den Bildschirm gebracht Alles klischeebestimmt und krud Liebes Kind bose Eltern Nur bitte recht deutlich Nur immer vergrobert So verhunzt man eine Geschichte so beraubt man sie ihrer Pointe der paradoxen Darstellung von Traum und Wirklichkeitsreich Aber selbst das hatte noch durchgehen mogen wenn die Bearbeiterin wenigstens konsequent gewesen ware Wahrend das Erzahlungsende hochst plausibel ist da der Doktor der den Jungen behandelt zur fremden Welt der Inquisitoren gehort nimmt sich das Finale im Film nahezu absurd aus Hier ist der Arzt ein Freund der vom Kind umarmt und gekusst wird eine Version die mit Sicherheit ein anderes als das in der Geschichte vorgegebene Ende verlangt Und so erhebt denn der Autor schliesslich Einspruch im Namen der Poesie 2 1975 beauftragte das Studienprogramm Das kleine Fernsehspiel des Zweiten Programms die Filmemacherin Ula Stockl mit dem Thema Schlusselkinder anhand der Geschichte von Popp und Mingel Sie erweiterte den Stoff aus eigener Phantasie und realisiert ihn als Schwarz Weiss Film Nacherzahlung Erfunden hat sie vor allem die Traumszenen des Jungen um die Liebesbedurftigkeit eines Kindes hervorzuheben der man mit Hier hast du 3 Mark gehe ins Kino nicht begegnen kann 4 Die knapp sieben Seiten des literarischen Vorwurfs setzte die sensible Regisseurin in 50 dichte Filmminuten um Einfuhlsame Einzelbeobachtungen reichern die sparsame Vorlage an Ula Stockl gibt den ursprunglich nur zitatenhaft eingefuhrten Charaktermasken der Eltern Patricks Leben und Profil Dabei meidet sie das Klischee der bosen Erwachsenen Nicht Sadismus sondern schlichte Gedankenlosigkeit lost die Reaktionen aus 5 Weblinks BearbeitenVolltext von Popp und Mingel auf www ruhr uni bochum deEinzelnachweise Bearbeiten Ruta Eidukeviciene Jenseits des Geschlechterkampfes Rohrig Universitatsverlag 2003 ISBN 978 3 86110 345 5 S 115 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche a b Momos Das zerstorte Puppenheim in Die Zeit 30 1975 Digitalisat Unter dem Pseudonym Momos verfasste Walter Jens seit 1963 Fernsehkritiken in der ZEIT vgl Artikel Momos dort Abschnitt Rezeption Ernst Johann Frankfurter Allgemeine Zeitung 11 Juli 1975 Claus Croissant Munchner Merkur 11 Juli 1975 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Popp und Mingel amp oldid 232292925