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Partizipative Entscheidungsfindung PEF englisch shared decision making SDM wird in der Medizin die Interaktion bzw Kommunikation zwischen Arzt und Patient genannt die darauf zielt unter gleichberechtigter und aktiver Beteiligung von Patient und Arzt auf Basis geteilter Information zu einer gemeinsam verantworteten Ubereinkunft uber eine angemessene medizinische Behandlung zu kommen 1 2 Inhaltsverzeichnis 1 Konzepte der Patient Arzt Beziehung 2 Kernelemente 3 Prozessschritte 4 Gesellschaftliche und wissenschaftliche Hintergrunde 5 Empirische Forschungsergebnisse 5 1 Erwartungen der Patienten 5 2 Die Position der Arzte 6 Effekte 7 Projekte 8 Siehe auch 9 Weblinks 10 QuellenKonzepte der Patient Arzt Beziehung BearbeitenIm Rahmen medizinischer Kommunikation 3 unterscheidet man verschiedene Modelle der Patient Arzt Beziehung wobei PEF sich in letzter Zeit zunehmend als allgemeine Erwartung von Patienten durchzusetzen scheint Beim Modell der Partizipativen Entscheidungsfindung treffen Arzt und Patient gemeinsam die Entscheidung nachdem sie medizinische und auch behandlungsrelevante personliche Informationen ausgetauscht und ihre Rollen und Behandlungspraferenzen offengelegt haben Die Verantwortung fur die Umsetzung der Behandlung wird somit geteilt 4 Beim Paternalistischen Modell in seiner reinsten Form beschrankt sich die Patientenautonomie auf ein Minimum Die medizinischen Informationen sind nur dem Arzt bekannt welcher nachfolgend alleinverantwortlich im vermeintlich besten Interesse des Patienten entscheidet ohne allerdings dessen explizite Bedurfnisse zu kennen Neben Elementen der Fursorge und der wohlwollenden Beratung birgt dieses Modell die Gefahr der Bevormundung und partiellen Entmundigung des Patienten Das Paternalistische Modell wird traditionell in der Medizin angewandt herrscht im deutschen Medizinsystem auch heute noch vor befindet sich jedoch mittlerweile aus verschiedensten Grunden auf dem Ruckzug 5 Beim Informationsmodell auch Konsumenten Modell genannt stellt der Arzt seinem Patienten alle relevanten medizinischen Informationen zur Verfugung nimmt sich aus dem Prozess der Entscheidungsfindung jedoch heraus Der Patient wagt die erhaltenen Informationen vor dem Hintergrund seiner eigenen Befurchtungen und Erwartungen ab und entscheidet alleinverantwortlich Das Informationsmodell knupft an das Kundenmodell der freien Wirtschaft an und legt damit eine andere Beziehungs und Hierarchiestruktur zugrunde Der Arzt fungiert als Experte und Dienstleister der Patient befindet sich in der Rolle des Kunden Eine mogliche Gefahr liegt bei diesem Modell in der Uberforderung des Patienten 5 Kernelemente BearbeitenZu den Kernelementen der partizipativen Entscheidungsfindung gehort u a eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Patient und Arzt mit moglichst gleichem Informationsstand uber Wahlmoglichkeiten bezuglich einer medizinischen Entscheidung Kommunikation auf Augenhohe 6 Dabei sollen Arzt und Patient ihre Entscheidungskriterien aktiv und gleichberechtigt in den Abwagungs und Entscheidungsprozess einbringen und partnerschaftlich fur die Entscheidung Verantwortung ubernehmen Rechtlich gesehen hat der Patient jedoch das Selbstbestimmungsrecht siehe Patientenrechtegesetz 2013 Prozessschritte BearbeitenDie partizipative Entscheidungsfindung setzt verschiedene Handlungsschritte voraus Hierzu gehoren die Ubereinkunft zwischen Arzt und Patient dass eine Entscheidung ansteht das Angebot seitens des Arztes dass die Entscheidung bezuglich einer Behandlungs Option von Patient und Arzt in gleichberechtigter Partnerschaft entwickelt wird Aufzeigen verschiedener gleichwertiger im besten Falle evidenzbasierter Behandlungsmoglichkeiten umfassende gegenseitige Information uber Behandlungsoptionen ihre Evidenzen Alternativen Vor und Nachteile evtl unter Nutzung von Entscheidungshilfe Materialien z B schriftlichen Patienteninformationen und Medizinischen Entscheidungshilfen Ruckmeldung uber Verstandnis der Optionen und Erfragen weiterer Optionen aus Sicht des Patienten Ermittlung der Praferenzen des Patienten bzw des Arztes Aushandeln der Entscheidungsmoglichkeiten Gemeinsame partizipative Entscheidung oder einseitige Entscheidung des Patienten Selbstbestimmungsrecht auch gegen den Willen des Arztes evtl Vertrag Selbstverpflichtung Plan zur Umsetzung der Entscheidung 7 Gesellschaftliche und wissenschaftliche Hintergrunde BearbeitenPEF ist kein modernistisches Konzept der Patient Arzt Beziehung das unterschiedliche in der Informationsgesellschaft neu aufgekommene Werte und Normen Information Partizipation realitatsblind in das System medizinischer Versorgung ubertragt bzw diesem gar aufpfropft Als bedeutungsvoll und vermutlich auch zukunftsweisend lasst sich PEF bzw SDM unter anderem aus folgenden Grunden charakterisieren Fur Patienten stehen insbesondere durch Computer und Internet in dieser Dimension bislang ungekannte Moglichkeiten der autonomen Beschaffung von Gesundheits und Krankheitsinformationen zur Verfugung die sie auch nutzen Diese teils zutreffenden teils aber auch unausgegorenen Vorinformationen des Patienten auszublenden hiesse ihn nicht ernst zu nehmen von seinem Wissen und damit zusammenhangenden Angsten und Wunschen zu abstrahieren also nur die Krankheit zu sehen und nicht den Patienten Umfangreiche Analysen arztlicher Interventionen haben deutlich gemacht dass arztliches Handeln und arztliche Therapieentscheidungen vermutlich in sehr starkem Masse von personlichen Praferenzen oder Wertmassstaben abhangig sind die sich nicht eindeutig ableiten lassen aus dem aktuellen Forschungs und Erkenntnisstand Durch die Forschungsergebnisse der Evidenzbasierten Medizin EbM ist nicht nur deutlich geworden dass fur eine Vielzahl der in der gangigen Schulmedizin alltaglich praktizierten Therapiemethoden keinerlei wissenschaftliche Nachweise ihrer Effizienz bestehen Gezeigt wurde daruber hinaus auch dass es fur eine grosse Zahl von Erkrankungen nicht die eindeutig beste Behandlungsmethode gibt den therapeutischen Konigsweg sondern dass meist mehrere Optionen mit unterschiedlichen Nutzen und Risiken zur Verfugung stehen ohne dass medizinisch eindeutig entschieden werden kann was nun fur den Patienten das Beste ist Compliance als Befolgung arztlicher Therapieanweisungen oder Concordance als Konsens von Arzt und Patient hinsichtlich der Therapieplane hangt in sehr starkem Masse davon ab ob es tatsachlich in der arztlichen Sprechstunde zu einem Einbezug der Patientenfragen und wunsche gekommen ist Dies hat nicht nur okonomische Bedeutung wie die Schatzungen fur verordnete aber auch abgesetzte oder gar nicht erst eingenommene Medikamente zeigen Daruber hinaus gibt es auch Hinweise dass Information und Beteiligung von Patienten die Behandlungsqualitat und die Therapie Effekte positiv beeinflusst Empirische Forschungsergebnisse BearbeitenErwartungen der Patienten Bearbeiten Bis in die 1980er Jahre bevorzugte die Mehrheit der Patienten noch eine passive Rolle im medizinischen Behandlungsprozess Die aktive und dominante Rolle des Arztes entsprach anscheinend den Bedurfnissen der meisten Patienten Heute mochten viele Patienten an medizinischen Entscheidungen beteiligt werden und auch die Politik fordert die starkere Einbeziehung und Mitbestimmung der Patienten 8 Dieses Fazit uber einen Wandel von Patientenanspruchen ziehen Klemperer Rosenwirth aufgrund von zwei grosseren Patientenbefragungen In Telefoninterviews mit 8 119 Befragten in acht europaischen Landern gaben 23 an selbst uber die Behandlung bestimmen zu wollen 26 mochten lieber den Arzt entscheiden lassen und 51 wollen mit dem Arzt gemeinsam uber die Behandlungsmethode entscheiden 9 Umfrageergebnisse aus dem Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung bei 9 146 Befragten fuhren zu einer vergleichbaren Bilanz 58 wollen eine gemeinsame Entscheidungsfindung nur 14 eine autonome Entscheidung und 28 wurden lieber den Arzt allein entscheiden lassen 10 Auch in der PIA Studie Patienten Information in der Allgemeinmedizin wurde uber 1 100 Patienten in Hausarzt Praxen des Ruhrgebiets die Frage nach der Patientenrolle gestellt und auch hier wunscht die uberwiegende Mehrheit von 77 eine Teilhabe an Therapieentscheidungen 11 Die Position der Arzte Bearbeiten Eine Befragung des Gesundheitsmonitor zeigt uberwiegend positive Urteile 67 sind fur dieses Konzept 21 favorisieren die alleinige Arzt Entscheidung 8 die Patienten Entscheidung 4 machen dies vom Einzelfall abhangig Dabei scheinen jungere Arzte etwas aufgeschlossener fur Shared Decision Making zu sein 12 Detailliertere Nachfragen zeigen allerdings auch dass dieses insgesamt positive Votum in nicht unerheblichem Masse von Skepsis und Unbehagen durchsetzt ist und zumindest ambivalent bewertet wird Auf die Frage welche Wirkung es hat wenn Patienten sich schon vor dem Arzttermin uber Beschwerden Behandlungen usw informiert haben zeigt sich Etwa zwei Drittel der im Gesundheitsmonitor befragten 500 Arzte attestieren diesen Patienten ein hohes Eigeninteresse und knapp die Halfte erlebt dadurch Erleichterungen ihrer Arbeit Ebenfalls knapp die Halfte nimmt diese Vorinformation der Patienten jedoch als zusatzliche Belastung wahr und rund 40 diskreditieren das Patientenwissen als ein Gemisch von mehr oder weniger zutreffenden bzw nutzlichen Informationen welche mich nur behindern Knapp ein Drittel der Arzte gibt uberdies abwertende Urteile etwa derart dass eigene Informationen Patienten nur verwirren wurden oder ihnen als Arzten meist die Zeit fehle darauf einzugehen 13 Effekte BearbeitenPartizipative Entscheidungsfindung kann positive Effekte auf die Zusammenarbeit zwischen Therapeuten und Patienten auf die Patientenzufriedenheit und gesundheitliches Verhalten haben 14 Der Einfluss dieses Vorgehens auf den Behandlungserfolg das heisst auf den Verlauf von Gesundheit und Krankheit ist bisher ungenugend erforscht 15 16 Projekte BearbeitenIm deutschsprachigen Raum werden seit einiger Zeit vermehrt Projekte zur Anwendung und zur Wirksamkeitsprufung von Massnahmen zur Forderung der Partizipativen Entscheidungsfindung durchgefuhrt Hierzu gehoren unter anderem die Programme Arriba Rechner Psychenet und Share to Care Insbesondere bemuht man sich auch auf diese Weise die Gesundheitskompetenz der Bevolkerung zu verbessern 17 Siehe auch BearbeitenPatient Arzt Beziehung Patienteninformation Patientenkompetenz Patientenorientierung Patientenrechte Arztliche Aufklarung Informierte Einwilligung Compliance Medizin Adharenz Medizinische Entscheidungshilfe Translationale Medizin Share to CareWeblinks BearbeitenDeutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz E Bibliothek Entscheidungen zu Gesundheit und Krankheit abgerufen am 25 Januar 2021 Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz Datenbank Aktuelle Forschungsprojekte zur Forderung der Gesundheitskompetenz abgerufen am 31 Januar 2021 Webseite zur Partizipativen Entscheidungsfindung gefordert durch das Bundesministerium fur Gesundheit D Klemperer M Rosenwirth Shared Decision Making Konzept Voraussetzungen und politische Implikationen PDF Datei 710 kB Artikelsammlung zu neueren Forschungsergebnissen bei PEF SDMQuellen Bearbeiten Martin Harter Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen Effekte der Partizipativen Entscheidungsfindung aus systematischen Reviews In Dtsch Arztebl Band 104 Nr 21 2007 S A 1483 aerzteblatt de Partizipative Entscheidungsfindung In Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz DNGK Abgerufen am 24 Mai 2021 deutsch Vgl Ernest W B Hess Luttich Jan C L Konig Medizinische Kommunikation In Gert Ueding Hrsg Historisches Worterbuch der Rhetorik Band 10 WBG Darmstadt 2011 Sp 660 669 Cathy Charles Amiram Gafni Tim Whelan Shared decision making in the medical encounter What does it mean or it takes at least two to tango In Social Science amp Medicine Band 44 Nr 5 Marz 1997 S 681 692 doi 10 1016 S0277 9536 96 00221 3 elsevier com abgerufen am 20 Mai 2021 a b Christiane Bieber Kathrin Gschwendtner Nicole Muller Wolfgang Eich Partizipative Entscheidungsfindung PEF Patient und Arzt als Team In PPmP Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie Band 66 Nr 05 27 April 2016 ISSN 0937 2032 S 195 207 doi 10 1055 s 0042 105277 thieme connect de abgerufen am 20 Mai 2021 Patric P Kutscher Deutsches Arzteblatt Archiv Die Arzt Patient Beziehung Sieben Tipps wie Sie die Kommunikation mit den Patienten verbessern 22 07 2013 Abgerufen am 20 Mai 2021 M Harter N Giersdorf Arbeitsgruppe Methoden des BMGS Forderschwerpunktes Der Patient als Partner im medizinischen Entscheidungsprozess A Loh Arbeitsgruppe Methoden des BMGS Forderschwerpunktes Der Patient als Partner im medizinischen Entscheidungsprozess C Bieber Arbeitsgruppe Methoden des BMGS Forderschwerpunktes Der Patient als Partner im medizinischen Entscheidungsprozess C Caspari Arbeitsgruppe Methoden des BMGS Forderschwerpunktes Der Patient als Partner im medizinischen Entscheidungsprozess Entwicklung eines Fragebogens zur Partizipativen Entscheidungsfindung In Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz Band 47 Nr 10 Oktober 2004 ISSN 1436 9990 S 969 976 doi 10 1007 s00103 004 0905 5 springer com abgerufen am 20 Mai 2021 D Klemperer M Rosenwirth Shared Decision Making Konzept Voraussetzungen und politische Implikationen Chartbook 2005 S 12 A Coulter M Magee The European Patient of the Future Open University Press 2003 Jan Bocken Bernhard Braun Melanie Schnee Gesundheitsmonitor 2004 Die ambulante Versorgung aus Sicht von Bevolkerung und Arzteschaft Bertelsmann Stiftung Gutersloh 2004 ISBN 978 3 89204 781 0 J Isfort u a Shared Decision Making sind Patienten in der hausarztlichen Praxis dazu bereit Teilergebnisse der PIA Studie M Butzlaff B Floer J Isfort Shared Decision Making Der Patient im Mittelpunkt von Gesundheitswesen und Praxisalltag In J Bocken B Braun M Schnee Hrsg Gesundheitsmonitor Gutersloh 2003 S 41 55 D Klemperer M Rosenwirth Drittes Hintergrundpapier zum Shared Decision Making Chartbook Die Sicht der Arzte S 4 Linda Sanftenberg Flora Kuehne Charlotte Anraad Caroline Jung Sievers Tobias Dreischulte Assessing the impact of shared decision making processes on influenza vaccination rates in adult patients in outpatient care A systematic review and meta analysis In Vaccine Band 39 Nr 2 8 Januar 2021 ISSN 1873 2518 S 185 196 doi 10 1016 j vaccine 2020 12 014 PMID 33334617 L Aubree Shay Jennifer Elston Lafata Where is the evidence A systematic review of shared decision making and patient outcomes In Medical decision making an international journal of the Society for Medical Decision Making Band 35 Nr 1 2015 ISSN 0272 989X S 114 131 doi 10 1177 0272989X14551638 PMID 25351843 PMC 4270851 freier Volltext Dawn Stacey France Legare Krystina Lewis Michael J Barry Carol L Bennett Decision aids for people facing health treatment or screening decisions In The Cochrane Database of Systematic Reviews Band 4 2017 ISSN 1469 493X S CD001431 doi 10 1002 14651858 CD001431 pub5 PMID 28402085 PMC 6478132 freier Volltext Gute Praxis Gesundheitskompetenz In Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz DNGK Abgerufen am 25 Januar 2021 deutsch Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Partizipative Entscheidungsfindung amp oldid 232240975