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Die Medikalisierungsthese oder auch Expansionsthese besagt dass die gewonnenen Lebensjahre durch die steigende Lebenserwartung uberwiegend in Krankheit verbracht werden Damit steht sie im Gegensatz zur Kompressionsthese Inhaltsverzeichnis 1 Begriffserlauterung und Abgrenzung 2 Hintergrund 3 Sisyphus Syndrom 4 Diskussion und Kritik 5 Siehe auch 6 Literatur 7 EinzelnachweiseBegriffserlauterung und Abgrenzung BearbeitenDie Begrifflichkeit der Expansionsthese expansion of morbidity geht zuruck auf die Arbeiten von Ernest M Gruenberg welcher 1977 die Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf eine Reihe von chronischen Krankheiten untersuchte 1 Gruenberg konstatierte It is obvious that with increasing duration we would expect the proportion of the population in any given age group suffering from these conditions to rise And in fact as the result of advances in medical care we are seeing a rising prevalence of certain chronic conditions which previously led to early terminal infections but whose victims now suffer from them for a longer period The goal of medical research work is to diminish disease and enrich life Gregg 1941 but it produced tools which prolong diseased diminished lives and so increase the proportion of people who have a disabling or chronic disease 1 Es liegt auf der Hand dass mit zunehmender Lebenserwartung zu erwarten ist dass der Anteil der Bevolkerung in einer bestimmten Altersgruppe der unter diesen Bedingungen Anm gemeint sind chronische Krankheiten leidet steigen wird Und in der Tat beobachten wir als Folge des technologischen Fortschritts in der medizinischen Versorgung eine steigende Pravalenz bestimmter chronischer Erkrankungen die fruher zu fruh terminalen Infektionen fuhrten deren Opfer nun aber uber einen langeren Zeitraum daran leiden Das Ziel der medizinischen Forschungsarbeit ist es Krankheiten zu vermindern und das Leben zu bereichern Gregg 1941 aber sie hat Werkzeuge hervorgebracht die krankhaftes beeintrachtigtes Leben verlangern und so den Anteil der Menschen mit einer behindernden oder chronischen Krankheit erhohen Hintergrund BearbeitenDer technologische Fortschritt fuhrt grundsatzlich zu einer steigenden Lebenserwartung in der Bevolkerung In der Diskussion ist jedoch inwieweit der technologische Fortschritt auch zu einer steigenden Gesundheitserwartung fuhrt Fraglich ist ob mit steigender Lebenserwartung die gewonnenen Lebensjahre Krankheitszeiten im hohen Lebensalter lediglich nach hinten verschieben oder ob die gewonnene Lebenszeit vermehrt in Krankheit verbracht wird 2 Ernest Gruenberg beschrieb in seiner Arbeit Failures of Success fruh die Gefahr wenn sich im Zuge des Anstiegs der Lebenserwartung lediglich die chronisch kranke Lebenszeit verlangert In seinen Untersuchungen fuhrte er als Beispiel die Erfolge bei der Behandlung der Lungenentzundung mit Sulfonamiden 1935 und Penicillin 1941 an wodurch die Sterblichkeit in den USA zwischen 1930 und 1945 von 65 auf 20 Personen pro 100 000 sank 1 Die neuen Therapien halfen insbesondere Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen Hieraus resultierte ein Anstieg der Pravalenz chronischer Erkrankungen Wenn eine steigende Lebenserwartung gleichzeitig mit einer gleichbleibenden Inzidenz bei chronischen Krankheiten einherginge mussten die Gesundheitssysteme sukzessive mehr chronisch Kranke versorgen Sisyphus Syndrom Bearbeiten nbsp Sisyphus SyndromBreyer Zweifel Kifmann beschreiben die sich alternde Gesellschaft und den fortschreitenden medizinische Fortschritt als sich gegenseitig verstarkende Faktoren 3 Der medizinische Fortschritt fuhrt durch Produktinnovationen insbesondere zu einer steigenden Lebenserwartung bei Alteren Dies fuhrt zu einem steigenden Anteil von Alteren an der Gesamtbevolkerung und die Bedeutung von Alteren fur das Gesundheitswesen steigt Zusatzliche finanzielle Mittel fliessen in das Gesundheitssystem wovon ein Grossteil in Produktinnovationen landet Dies fuhrt zu einem hypertrophen Wachstum der Gesundheitskosten im Verhaltnis zum Haushaltsbudget Dies benennen Breyer Zweifel Kifmann als Sisyphus Syndrom 3 Diskussion und Kritik BearbeitenGruenbergs These wurde zwischenzeitlich vielfach untersucht Die uberwiegende Anzahl an Forschungsarbeiten widerlegt dabei die Mortalitatsthese und bestatigt die Kompressionsthese Sprich Die Forschungsergebnisse sprechen Stand 2012 dafur dass eine steigende Lebenserwartung auch mit einer steigenden Gesundheitserwartung einhergeht 4 Die Medikalisierungsthese wird haufig dazu genutzt auf eine drohende finanzielle Uberforderung auf das Gesundheitssystem hinzuweisen Wichtig ist die Analyse belastbarer Daten um zu untersuchen inwieweit eine steigende Lebenserwartung mit steigenden Gesundheitskosten korreliert Niehaus hat die Situation in Deutschland anhand von Gesundheitsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung von 2001 bis 2009 untersucht ob steigende Lebenserwartung mit steigenden Gesundheitskosten einhergeht 2 Die Gesundheitsausgaben stiegen im Untersuchungszeitraum in allen Lebensaltern im Zeitverlauf Der prozentuale Anstieg war in den Lebensaltern bis 65 am hochsten auch im Vergleich zu den Lebensaltern uber 85 Jahren Im Zeitverlauf wurden demnach immer mehr medizinische Leistungen erbracht und Medikamente gegeben Niehaus schliesst daraus dass dies jedoch kein Zeichen dafur sei dass immer mehr Lebenszeit in Krankheit verbracht wird sondern dass die gewonnene beschwerdefreie Lebenszeit durch die umfangreiche medizinische Versorgung erzielt wird Siehe auch BearbeitenGesundheitswesen dort auch bei Reformen Medikalisierung Multimorbiditat im hoheren LebensalterLiteratur BearbeitenFriedrich Breyer Peter Zweifel Mathias Kifmann Gesundheitsokonomik Springer Gabler Verlag 6 Auflage 2013 ISBN 978 3 642 30894 9Einzelnachweise Bearbeiten a b c E M Gruenberg The failures of success 1977 In The Milbank quarterly Band 83 Nummer 4 2005 S 779 800 doi 10 1111 j 1468 0009 2005 00400 x PMID 16279967 PMC 2690285 freier Volltext a b Frank Niehaus Kompressions versus Medikalisierungsthese In Barmer GEK Gesundheitswesen aktuell 2012 Hrsg Uwe Repschlager et al Seite 46 66 a b Breyer Zweifel Kifmann Gesundheitsokonomik S 556 Frank Niehaus Kompressions versus Medikalisierungsthese In Barmer GEK Gesundheitswesen aktuell 2012 Hrsg Uwe Repschlager et al Seite 46 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Medikalisierungsthese amp oldid 224496025