www.wikidata.de-de.nina.az
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wurde erstmals 1956 57 auch fur Arbeiter in einem Tarifvertrag geregelt In der Metallindustrie in Schleswig Holstein wurde nach einem 16 wochigen Streik um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ein Kompromiss erzielt 1969 wurde durch die CDU SPD Regierung der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall fur alle Beschaftigten im Lohnfortzahlungsgesetz verankert Dieses Gesetz wurde 1996 durch die CDU FDP Regierung geandert so betrug beispielsweise der Anspruch lediglich 80 Prozent statt 100 Prozent des Entgeltes Nach einem langeren bundesweiten Konflikt vereinbarten die IG Metall und der Arbeitgeberverband der niedersachsischen Metall und Elektroindustrie die tarifliche Regelung der 100 prozentigen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unabhangig von der jeweiligen gesetzlichen Regelung Dieser Tarifkompromiss wurde schrittweise in den anderen Tarifgebieten der Metallindustrie und spater in anderen Branchen ubernommen 1999 wurde durch die die rot grune Bundesregierung die 100 prozentige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wieder im Entgeltfortzahlungsgesetz festgeschrieben Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Ausgangssituation 1996 3 Gesetzesanderung und Tarifvertrage 4 Proteste der Gewerkschaften 5 Tarifliche Losung des Konflikts in der Metallindustrie 6 Rucknahme der Gesetzesanderung von 1996 ab 1 1 1999 7 Verhaltnis von gesetzlichen und tariflichen Regelungen 8 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenWahrend fur Angestellte aufgrund des 63 HGB ein unabdingbarer Anspruch auf eine sechswochige 100 prozentige Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall seit 1930 31 bestand existierte kein vergleichbarer Anspruch fur Arbeiterinnen und Arbeiter Es wurde nach drei Karenztagen lediglich ein Krankengeld in Hohe von 50 Prozent des Lohns gezahlt Nach Grundung der Bundesrepublik forderten die Gewerkschaften eine unabdingbarere sechswochige Lohnfortzahlung auch fur Arbeiter Ein entsprechender Entwurf der SPD wurde 1956 im Bundestag abgelehnt 1 Im gleichen Jahr vom 24 10 1956 bis 14 2 1957 kam es in der Metallindustrie in Schleswig Holstein zu einem sechzehnwochigen Streik von ca 34 000 Arbeitern aus 38 Betrieben Nach mehreren Urabstimmungen wurde schliesslich ein Kompromiss erzielt und in einer Urabstimmung der IG Metall Mitglieder bestatigt Im neuen Tarifvertrag wurde der Einstieg in die Lohnfortzahlung fur Arbeiter vereinbart eine Lohnfortzahlung in Hohe von 90 Prozent des Lohns teilweise mit Karenztagen mit einer 50 prozentigen Lohnfortzahlung 1957 verabschiedete der Bundestag das Arbeiterkrankengesetz Dies sah einen Zuschuss der Unternehmer zum Krankengelt auf 90 Prozent des Entgeltes bei drei Karenztagen vor Erst 1969 wurde durch die CDU SPD Regierung ein Lohnfortzahlungsgesetz vereinbart das ohne Karenztage die 100 prozentige Lohnfortzahlung fur die Dauer von 6 Wochen auch fur Arbeiter vorsah Es trat am 1 Januar 1970 in Kraft In den Manteltarifvertragen der Metall und Elektroindustrie und in anderen Branchen wurde ebenfalls der Anspruch auf die 100 prozentige Entgeltfortzahlung geregelt teilweise als eigenstandige konstitutive Regelung teilweise durch Verweis auf das Lohnfortzahlungsgesetz deklaratorische Regelung Ausgangssituation 1996 BearbeitenNach Vollzug der deutschen Einheit im Jahr 1990 begann Mitte der 1990er Jahre eine Debatte zur Wettbewerbsfahigkeit des Standortes Deutschlands Vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland und aufgrund der Verlagerung zahlreicher Arbeitsplatze in die osteuropaischen Niedriglohnlander begann eine konfliktreiche Grundsatzdebatte innerhalb der Parteien aber auch zwischen Unternehmern und Gewerkschaften Insbesondere CDU und FDP forderten eine Absenkung bestehender arbeits und sozialrechtlicher Regelungen um so die Arbeitskosten fur die Unternehmer senken zu konnen Insbesondere die Lohnnebenkosten seien zu hoch und mussten gesenkt werden Die Arbeitgeberverbande kundigten in dieser Zeit eigenstandig Tarifvertrage um dort ebenfalls tarifliche Anspruche zu senken Diese Debatte wird auch mit den Begriffen Neoliberalismus und Deregulierung gekennzeichnet Der IG Metall Vorsitzende Klaus Zwickel machte 1995 den Unternehmern und der Bundesregierung den Vorschlag ein Bundnis fur Arbeit abzuschliessen Dazu fanden mehrere Gesprachsrunden statt Als die Bundesregierung ankundigte die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu senken stiegen die Gewerkschaften aus diesen Gesprachen aus 2 Im Jahr 1996 verabschiedete die CDU FDP Bundesregierung ein sogenanntes Programm fur mehr Wachstum und Beschaftigung mit dem zahlreiche gesetzliche Regelungen zu Gunsten der Unternehmer und zu Lasten der Beschaftigten geandert wurden Im Entwurf zum Arbeitsrechtlichen Beschaftigungsforderungsgesetz vom 10 Mai 1996 wurde beispielsweise die Begrenzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eine Verschlechterung des Kundigungsschutzes und eine Erleichterung des Abschlusses von befristeten Arbeitsvertragen vorgeschlagen Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sollte von 100 Prozent auf 80 Prozent des bisherigen Arbeitsentgeltes gesenkt werden Dieses Gesetz wurde im Juni 1996 vom Bundestag beschlossen Im angerufenen Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat wurde keine Einigung erzielt Da das Gesetz nicht durch den Bundesrat zustimmungspflichtig war wurde es am 13 September 1996 mit absoluter Mehrheit im Bundestag beschlossen und trat am 1 Oktober 1996 in Kraft Gesetzesanderung und Tarifvertrage BearbeitenDa die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht nur gesetzlich sondern auch in Manteltarifvertragen geregelt war und ist trat ein Grundsatzkonflikt auf Je nach Branche und regionalem Tarifgebiet waren in den Manteltarifvertragen unterschiedliche Regelungen vereinbart Die Unternehmer und ihre Verbande vertraten die Auffassung dass die Regelungen in den Manteltarifvertragen lediglich auf das jeweilige Lohnfortzahlungsgesetz verwiesen deklaratorische Regelung Die Gewerkschaften sahen in den tariflichen Regelungen eigenstandige sogenannte konstitutive Regelungen die unabhangig von der jeweiligen Gesetzeslage Geltung haben Unabhangig von den jeweiligen regionalen tariflichen Regelungen empfahlen die Arbeitgeberverbande ihren Mitgliedsfirmen ab 1 Oktober 1996 die Lohnfortzahlung auf 80 Prozent abzusenken Proteste der Gewerkschaften BearbeitenGegen die geplanten Massnahmen der CDU FDP Bundesregierung erhoben die Gewerkschaften ihren Protest Im Jahr 1996 kam es zu mehreren regionalen Protestaktionen der Gewerkschaften gegen das geplante Programm fur mehr Wachstum und Beschaftigung Bei den Protesten stand die geplante Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Mittelpunkt Vorlaufiger Hohepunkt der gewerkschaftlichen Proteste war eine zentrale Grossdemonstration in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn mit ca 350 000 Teilnehmenden 3 Auch nach dem 1 Oktober 1996 gingen die Protestaktionen insbesondere in der Metall und Elektroindustrie weiter In zahlreichen betrieblichen Protestaktionen machten die Mitglieder der IG Metall ihren Unmut uber die geanderte Regelung zur Lohnfortzahlung deutlich Vor dem Hintergrund dieser Protestaktionen gingen zahlreiche Firmen und Konzerne dazu uber die Lohnfortzahlung im Betrieb bei 100 Prozent zu belassen Sie folgten damit bewusst nicht der Empfehlung der Arbeitgeberverbande Da es sich dabei um bekannte Konzerne handelte und immer mehr Firmen diesem Vorgehen folgten kamen die Arbeitgeberverbande in eine schwierige Situation Tarifliche Losung des Konflikts in der Metallindustrie BearbeitenDer Konflikt um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ging in der Metallindustrie fliessend in die Tarifrunde im Herbst 1996 ein Schon bevor die IG Metall ihre Forderungen aufgestellt hatte kundigten die Arbeitgeberverbande die Tarifvertrage zu Urlaub Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld mit dem Ziel die tariflichen Leistungen zu senken Noch bevor die IG Metall ihre Tarifforderungen aufstellte kam es auf Bundesebene zu mehreren Spitzengesprachen zum Thema der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Die Gesprache zwischen dem Vorstanden der IG Metall und von Gesamtmetall fuhrten zu keinem Ergebnis woraufhin die IG Metall zu einem bundesweiten Aktionstag am 24 Oktober 1996 aufrief An diesem Tag beteiligten sich bundesweit uber 400 000 Metallerinnen und Metaller an betrieblichen Protestaktionen 4 5 Anfang November 1996 stellte die IG Metall ihre Forderungen fur die Tarifrunde auf Erhohung der Entgelte um 5 Prozent die unveranderte Wiederinkraftsetzung der von den Arbeitgeberverbanden gekundigten tariflichen Regelungen zu Urlaub Urlaubs und Weihnachtsgeld Da bis auf das Tarifgebiet Bayern die tariflichen Regelungen zur Lohnfortzahlung nicht kundbar waren machte die IG Metall deutlich dass ein Abschluss der Tarifrunde ohne eine fur sie akzeptable Regelung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht denkbar sei In den Tarifverhandlungen im November 1996 konnte in den verschiedenen Tarifgebiete der Metallindustrie keine Einigung erzielt werden insbesondere die Regelung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall war strittig Fur alle Beteiligten uberraschend wurde am fruhen Morgen des 5 Dezember 1996 in der niedersachsischen Metallindustrie ein Tarifabschluss erzielt 6 Die IG Metall Bezirksleitung Hannover und der Verband der Metallindustriellen Niedersachsens verstandigten sich auf ein umfangreiches Verhandlungsergebnis Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Es wurde im Manteltarifvertrag vereinbart dass ein Anspruch auf 100 prozentige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall fur sechs Wochen unabhangig von der jeweiligen gesetzlichen Regelung besteht Wortlich Werden Beschaftigte durch Arbeitsunfahigkeit infolge Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert ohne dass sie ein Verschulden trifft so haben sie unabhangig von der jeweils geltenden Regelung vom ersten Tag an Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber fur die Zeit der Arbeitsunfahigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen 7 Bei der Berechnungsgrundlage des Arbeitsentgeltes wird Mehrarbeit nicht mehr berucksichtigt Entgelterhohungen von 4 Prozent in zwei Stufen Urlaub Urlaubs und Weihnachtsgeld Beibehaltung der bisherigen Regelungen wobei in der Berechnungsgrundlage Mehrarbeit ebenfalls nicht mehr berucksichtigt wird Moglichkeit durch freiwillige Betriebsvereinbarung eine Gesundheitspramie in Abhangigkeit zum Krankenstand zusatzlich zum Weihnachtsgeld einzufuhren Erklarung zum Flachentarifvertrag Angesichts der zahlreichen kritischen Diskussionen zum System des Flachentarifvertrages wird von den beiden Tarifvertragsparteien erklart dass der Flachentarifvertrag ein bewahrtes und zukunftsweisendes Instrument zur Regelung industrieller Arbeitsbeziehungen darstellt 8 Dieser Tarifabschluss war innerhalb der metallindustriellen Arbeitgeberverbande heftig umstritten Der niedersachsische Arbeitgeberverband wurde fur sein Vorgehen massiv kritisiert sowohl vom Vorstand von Gesamtmetall aber auch von den Arbeitgeberverbanden vornehmlich aus Suddeutschland Die zentrale Verhandlungskommission von Gesamtmetall stimmte dem hannoverschen Verhandlungsergebnis zunachst nicht zu 9 Nach heftigen Auseinandersetzungen wurde der niedersachsische Pilotabschluss schliesslich in allen Tarifgebieten der Metallindustrie ubernommen und auch auf andere Branchen ausgeweitet Das Ergebnis der Tarifrunde wurde von den Medien als eine Niederlage der Arbeitgeberverbande gewertet Die Frankfurter Allgemeine Zeitung formulierte Die IG Metall hat gesiegt 10 Die tarifliche Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurde aber auch als eine Niederlage der Bundesregierung gewertet Die Bundesregierung unter Kanzler Kohl war von den Arbeitgeberverbanden gedrangt worden die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gesetzlich abzusenken und sah sich jetzt von den Arbeitgeberverbanden im Stich gelassen Die Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ sprach von einem Gesetz ohne Folgen 11 Rucknahme der Gesetzesanderung von 1996 ab 1 1 1999 BearbeitenIn den ersten Monaten der Regierungszeit der rot grunen Bundesregierung wurden die Anderungen im Entgeltfortzahlungsgesetz zuruckgenommen Im Dezember wurde das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitsnehmerrechte vom Bundestag beschlossen 1 Seit 1 Januar 1999 gilt fur die Beschaftigten wieder ein gesetzlicher Anspruch auf 100 prozentige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vgl 3 des Gesetzes uber die Zahlung des Arbeitsentgeltes an Feiertagen und im Krankheitsfall 12 Verhaltnis von gesetzlichen und tariflichen Regelungen BearbeitenAm Konflikt um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird exemplarisch das Zusammenwirken der zwei Regulationsebenen Gesetze und Tarifvertrage deutlich Im Jahr 1957 wurde erstmals eine tarifliche Regelung fur die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fur Arbeiterinnen und Arbeiter in der Metallindustrie Schleswig Holstein vereinbart Ein Jahr spater folgte die erste gesetzliche Regelung die 1969 durch die CDU SPD Regierung vervollstandigt wurde Jetzt bestand ein gesetzlicher Anspruch auf 100 prozentige Lohnfortzahlung Dieses Gesetz wurde 1996 durch die CDU FDP Regierung geandert wodurch sich der Anspruch auf 80 Prozent verringerte Im selben Jahr wurde in der Metallindustrie dagegen der Anspruch auf 100 Prozent Lohnfortzahlung tariflich vereinbart Diese Regelung wurde dann wieder durch die rot grune Bundesregierung im Jahr 1998 in das Entgeltfortzahlungsgesetz ubernommen Diese Regelung gilt bis heute Einzelnachweise Bearbeiten a b Olaf Deinert Michael Kittner Kittner Arbeits und Sozialordnung 47 Auflage Bund Verlag Frankfurt 2022 ISBN 978 3 7663 7174 4 S 953 954 IG Metall Hannover Streiten und gestalten Die IG Metall Hannover von 1945 bis 2010 VSA Verlag Hamburg 2021 ISBN 978 3 96488 107 6 S 245 Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ Bundniss und Protest Frankfurt 15 Juni 1996 S 1 IG Metall Bezirksleitung Hannover denn sie wissen was sie tun Das Beispiel Lohnfortzahlung Hannover 1997 S 49 Tagesschau Aktionstag fur Lohnfortzahlung 24 Oktober 1996 abgerufen am 28 April 2022 Tagesschau Tarifabschluss zur Lohnfortzahlung 5 Dezember 1996 abgerufen am 2 Mai 2022 IG Metall Bezirksleitung Hannover sowie Verband der Metallindustriellen Niedersachsen 12 2 Manteltarifvertrag fur die Beschaftigten der niedersachsischen Metallindustrie Hannover 1996 IG Metall Bezirksleitung Hannover Geschaftsbericht 1996 bis 1999 Hannover 2000 S 33 Arbeitgeberverband Gesamtmetall Geschaftsbericht 1995 bis 1997 Koln 1997 S 55 Frankfurter Allgemeine Zeitung Hundert Prozent Frankfurt 6 Dezember 1996 Frankfurter Allgemeine Zeitung Ein Gesetz ohne Folgen Frankfurt 10 Dezember 1996 S 1 Bundesregierung Gesetz Gesetz uber die Zahlung des Arbeitsentgeltes an Feiertagen und im Krankheitsfall In Bundesgesetzblatt I 1746 22 November 2019 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Konflikt um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall 1996 amp oldid 223372868