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Die Karte im Massstab 1 1 ist eine hypothetische Karte die im Massstab 1 1 also ohne jede Form von Generalisierung erstellt wird Sie stellt ein Paradoxon der kartographischen Modellbildung dar 1 und wurde in mehreren Kurzgeschichten und Aufsatzen beschrieben darunter von Jorge Luis Borges Lewis Carroll Umberto Eco und Michael Ende Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Literarische Rezeption der Idee 3 Wissenschaftliche Rezeption der Idee 4 LiteraturHintergrund BearbeitenEine Karte im Massstab 1 1 000 000 kann auf einem Quadratmeter eine Flache von 1 Million Quadratkilometer abbilden ca die Flache Agyptens eine Karte im Massstab 1 1000 zeigt auf derselben Flache Informationen uber einen Quadratkilometer und ist demzufolge genauer Im Massstab 1 1 ist die Kartenflache genauso gross wie der dargestellte Bereich der Erdoberflache In der Geschichte der Kartografie dienten Karten unter anderem auch als Prestigeobjekt Je genauer eine Karte desto besser informiert war der Nutzer Dies fuhrte zu dem Gedankenspiel dass ein an Information interessierter Herrscher eine moglichst genaue Nachbildung seines Reiches brauchte unter Umstanden im Massstab 1 1 Literarische Rezeption der Idee BearbeitenDie Beschreibung der Karte im Massstab 1 1 taucht erstmals 1893 im Roman Sylvie and Bruno Concluded von Lewis Carroll auf 2 in dem ein Fremder namens Mein Herr berichtet dass in seinem Land auf kaiserlichen Befehl eine Karte im Massstab 1 1 hergestellt worden sei Sie sei nie viel benutzt worden da die Bauern gegen das Auffalten protestiert hatten Darum benutze man jetzt das Land selbst als seine eigene Karte und dies sei fast ebenso praktisch we now use the country itself as its own map and I assure you it does nearly as well Jorge Luis Borges griff den Gedanken in der Kurzgeschichte Del rigor en la ciencia dt Von der Strenge der Wissenschaft auf 3 Dort beschreibt er ein Reich mit derartig vollkommenen Karten dass die Karte einer einzigen Provinz den Raum einer Stadt einnahm und die Karte des Reiches den einer Provinz Als diese Karten nicht mehr ausreichten wurde eine Karte erstellt die genau die Grosse des Reiches hatte und sich mit ihm in jedem Punkt deckte Spatere Generationen vernachlassigten die Pflege der Karte sodass nur Ruinen ubrig blieben Borges veroffentlichte diese Geschichte als vorgebliches Zitat eines fiktiven Autors aus dem Jahr 1658 um die Illusion historischer Authentizitat zu erzeugen Auch der Philosoph Umberto Eco verarbeitete das Gedankenspiel in seinem Werk Diario minimo von 1963 4 In humorvollem aber wissenschaftlichem Duktus definiert er in dem Aufsatz Die Karte des Reiches im Massstab 1 1 zunachst die Anforderungen an diese Karte territorialkoextensiv und nicht in fremdem Territorium ausgelegt uneingeschrankte oder aber simplifizierte Genauigkeit der Wiedergabe Benutzbarkeit als semiotisches Instrument folglich beweglich weder Verpackung noch Atlas sondern Karte Aus diesen Grundbedingungen postuliert Eco unterschiedliche praktische Umsetzungen einer Karte im Massstab 1 1 und leitet deren unlosbare Darstellungsparadoxien ab Sein 13 seitiger Aufsatz schliesst mit drei Korollaren Eine Karte im Massstab 1 1 gibt das Territorium immer nur ungenau wieder Das Reich wird im selben Moment in dem man seine Karte erstellt undarstellbar Jede Karte im Massstab 1 1 besiegelt das Ende des Reiches als solches und ware mithin die Karte eines Territoriums das kein Reich mehr ist In Momo von 1973 bediente sich Michael Ende des Motivs und liess die Figur Gigi Fremdenfuhrer die Geschichte des Tyranns Marxentius Communus erfinden welcher befahl einen Globus herzustellen der genauso gross sein sollte wie die alte Erde und auf dem alles ganz naturgetreu dargestellt sein musste 5 Die Erstellung des Modells verbraucht alle Ressourcen der Welt sodass die neue Abbildung sich letztlich als identisch mit der zuvor abzubildenden Realitat erweist die es aber nicht mehr gibt Wissenschaftliche Rezeption der Idee BearbeitenDie Unpraktikabilitat einer Karte im Massstab 1 1 ist offensichtlich trotzdem diente das literarische Gedankenspiel auch kartographischen Lehrbuchern als Ansatzpunkt zur Betrachtung von Karten und Massstaben Dabei wird darauf verwiesen dass Karten ein grafisches Modell der Erde sind das durch Messungen gewonnen wurde und dass es unmoglich ist alle Details der Realitat bis in die Mikroebene zu erfassen und zu speichern Probleme der Karte 1 1 sind neben den von Eco aufgefuhrten Paradoxien Sie verfehlt den eigentlichen Zweck einer Karte namlich als Hilfsmittel dem Betrachter raumliche Information abstrakt zu vermitteln sondern ist Selbstzweck 1 Messtechnischer Aufwand Datenvolumen und Herstellungskosten steigen zwar enorm an doch kann die Erdoberflache nur so genau beschrieben werden wie der Messprozess es erlaubt 6 somit findet immer eine Generalisierung statt 7 Es lassen sich ferner Parallelen zu jeglicher wissenschaftlicher Modellbildung ziehen vergleiche dazu Bonini Paradox Literatur Bearbeiten a b Alexander C T Geppert Uffa Jensen Jorn Weinhold Ortsgesprache Raum und Kommunikation im 20 Jahrhundert 2005 Lewis Carroll Sylvie and Bruno Concluded 1893 Jorge Luis Borges 1960 El Hacedor in Obras Completas Emece Editores Buenos Aires 1974 dt Jorge Luis Borges Borges und ich in Gesammelte Werke Band 6 Carl Hanser Verlag Munchen 1982 Umberto Eco 1963 Diario minimo Platon im Striptease Lokal Parodien und Travestien 1990 Michael Ende 1973 Momo Thienemann Stuttgart 1973 Michael Frank Goodchild James Proctor Scale in a Digital Geographic World in Geographical and Environmental Modelling Vol 1 1997 Gunther Hake Dietmar Grunreich Liqiu Meng Kartographie Berlin 2002 S 168 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Karte im Massstab 1 1 amp oldid 231241918