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Die Informationsvergabe im Drama ist ein komplexer und vielschichtiger Vorgang der erstmals 1977 durch den Literaturwissenschaftler Manfred Pfister systematisch in seiner Gesamtheit erfasst wurde Demnach finden Ubermittlungen von Informationen nicht nur zwischen den Figuren eines dramatischen Geschehens statt inneres Kommunikationssystem sondern gelangen durch die Auffuhrungssituation auch in das Wahrnehmungsvermogen des Zuschauers ausseres Kommunikationssystem Das bedeutet dass ein und dasselbe sprachliche oder aussersprachliche Signal im Normalfall im ausseren und inneren Kommunikationssystem unterschiedlichen Informationswert hat 1 Inhaltsverzeichnis 1 Vorinformation und Erwartungshorizont des Zuschauers 2 Interrelation der Informationsvergabemodi 3 Relationen zwischen Figuren und Zuschauerinformiertheit 4 Dramatische Ironie 5 Die Perspektivenstruktur dramatischer Texte 6 Techniken der Perspektivensteuerung 7 Typen der Perspektivenstruktur 8 Einzelnachweise 9 QuelleVorinformation und Erwartungshorizont des Zuschauers BearbeitenAusgangspunkt der Informiertheit eines Zuschauers ist haufig die Dramengattung und die damit verbundene Erwartung Im Allgemeinen wissen Zuschauer vor dem Theaterbesuch ob sie eine Tragodie oder eine Komodie zu sehen bekommen Ebenso vermittelt der Titel konkretere Erwartungen wobei immer auch bewusste strategische Fehlinformationen des Autors vorliegen konnen Die Funktion von thematischen Vorinformationen historischer oder mythologischer Art liegt darin dass die dramatische Exposition nicht mehr die gesamte Vorgeschichte erneut aufbereiten muss Interrelation der Informationsvergabemodi BearbeitenIm Verhaltnis zwischen sprachlichen und aussersprachlichen Informationen gibt es drei Relationsmoglichkeiten die von Pfister als Identitat Komplementaritat und Diskrepanz bezeichnet werden 2 Die Identitat zwischen geausserter Absicht einer Figur und entsprechender Handlung fuhrt quasi zur Verdopplung der Information Im Falle der Komplementaritat erganzen aussersprachliche Informationen Gesten Bewegungen etc die sprachlich vermittelte Information Die Diskrepanz zwischen Ausserung und Tatigkeit ist relativ jungen Datums und haufig mit dem absurden Theater verbunden Bekannt ist das Beispiel aus Becketts Warten auf Godot wo die Figuren mehrfach aussern aufbrechen zu wollen es dann aber nicht tun Relationen zwischen Figuren und Zuschauerinformiertheit BearbeitenDass die Figuren entsprechend ihrer Rolle unterschiedliche Grade von Informiertheit aufweisen ist nicht verwunderlich Der Vorteil des Publikums und damit wichtiger Teil der Wirkungsstruktur dramatischer Texte ist jedoch dass die Zuschauer die jeweils nur partielle Informiertheit der einzelnen Figuren summieren und miteinander korrelieren konnen 3 Daraus resultiert ein Informationsvorsprung der Zuschauer gegenuber den einzelnen Figuren Dies ist von der Antike bis heute die quantitativ dominierende Struktur diskrepanter Informiertheit Wesentlich weniger haufig ist die umgekehrte Struktur des Informationsruckstands des Zuschauers Beispiel dafur ist Kleists Lustspiel Der zerbrochene Krug wo der Zuschauer erst nach einigen Szenen durch die Ausfluchte und Tauschungsmanover des Dorfrichters Adam an die Tatsache herangefuhrt wird dass dieser den Krug zerbrochen hat Kongruente Informiertheit stellt sich in allen Dramentexten mit geschlossenem Ende ein wenn sich in der letzten Spielphase Informationsdiskrepanzen zwischen den Figuren und dem Publikum auflosen Dramatische Ironie BearbeitenAuch die dramatische Ironie ist ein Spezialfall diskrepanter Informiertheit siehe Dramatische Ironie Die Perspektivenstruktur dramatischer Texte BearbeitenDie Perspektivenstruktur eines dramatischen Textes stellt sozusagen den ubergeordneten Zusammenhang der Relation von Figuren und Zuschauerinformiertheit dar indem sich aus den korrespondierenden und kontrastierenden Figurenperspektiven die Aussage oder Bedeutung generiert Dabei kommt es in der Zuschauerwahrnehmung zu einer Uber bzw Unterordnung der einzelnen Figurenperspektiven Techniken der Perspektivensteuerung BearbeitenWie das Publikum aus den verschiedenen Figurenperspektiven die vom Autor beabsichtigte Rezeptionsperspektive erstellt hangt konkret von einer Reihe von Steuerungstechniken zusammen Neben den aussersprachlichen Informationen wie Statur Physiognomie Kostume Mimik Buhnenbild Requisiten Gerausche Musik etc sind die verbalen Bewertungssignale zu nennen wie z B sprechende Figurennamen Verhalten von Figuren im Handlungsablauf aber auch die Konvention der am Dramenende sich einstellenden poetischen Gerechtigkeit durch die Gute belohnt und Bose bestraft werden Typen der Perspektivenstruktur BearbeitenPfister benennt drei idealtypische Strukturen die a perspektivische Struktur die geschlossene Perspektivenstruktur und die offene Perspektivenfigur 4 Alle drei erklaren sich aus der kategorialen Differenz zwischen innerem und ausserem Kommunikationssystem Bei der a perspektivischen Struktur ist die zentrale Aussage im inneren Kommunikationssystem identisch mit der Wahrnehmung der Zuschauer Monoperspektivitat In der geschlossenen Perspektivenstruktur bieten sich im inneren Kommunikationssystem mehrere Wahrnehmungen an Polyperspektivitat fur den Zuschauer jedoch nur eine Monoperspektivitat Als Beispiel sei das Spiel im Spiel in Shakespeares Hamlet genannt Wahrend Hamlet und Horatio die Spielszene der Schauspieltruppe benutzen um herauszufinden ob Claudius der Morder von Hamlets Vater ist sehen die Hoflinge und Zuschauer des inneren Kommunikationssystems dass Hamlet Claudius bedroht denn in der gespielten Geschichte ist der Morder der Neffe des Konigs so wie Hamlet der Neffe von Claudius ist Innerhalb des Figurenensembles gibt es also mehrere Figurenperspektiven wahrend die Zuschauer im ausseren Kommunikationssystem beides korrelieren und zu einem Ergebnis kommen namlich dass Claudius sich schuldig gemacht hat In der offenen Perspektivenstruktur konkurrieren mehrere Perspektiven im inneren Kommunikationssystem ebenso wie im ausseren Polyperspektivitat Das Dramenende lasst den Zuschauer also ohne Losung zuruck Einzelnachweise Bearbeiten Pfister S 67 Pfister S 73 Pfister S 81 Pfister S 103 Quelle BearbeitenManfred Pfister Das Drama Theorie und Analyse Wilhelm Fink Munchen 1977 ISBN 3 7705 1368 1 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Informationsvergabe amp oldid 231244059