Die neutestamentlichen Berichte über Haustaufen erzählen von Taufhandlungen, in denen ganze „Häuser“ – gemeint sind „Hausstände“, also Großfamilien unter Einschluss der in diesem Hausstand Wohnenden – getauft wurden. Diese Berichte spielen in der Diskussion „Kindertaufe versus Gläubigentaufe“ eine gewisse Rolle. Dabei geht es um die Frage, ob bei den so genannten Haustaufen auch Kleinkinder (insbesondere Säuglinge) getauft wurden. Inwieweit diese historische Frage jedoch für die theologische Diskussion relevant ist, ist strittig.
Neutestamentliche Berichte von Haustaufen Bearbeiten
Das Neue Testament berichtet an fünf Stellen über Haustaufen; vier davon finden sich in der Apostelgeschichte (10,44–48; 16,10–92; 16,25–34 und 18,8) verzeichnet, eine im 1. Korintherbrief (1,16 f).
Apostelgeschichte 10,44–48: Das Haus des Kornelius Bearbeiten
Es wird hier gesagt, dass der Heilige Geist auf solche herab fiel, die den Worten des Petrus zuhörten und anschließend in unbekannten Sprachen redeten und Gott priesen. Könnte das auch bei Kleinkindern oder gar bei Säuglingen der Fall gewesen sein?
Apostelgeschichte 16,15: Das Haus der Lydia Bearbeiten
Befürworter der Säuglingstaufe betrachten diesen Bericht folgendermaßen: Hier fungiert eine Frau als Haushaltsvorstand und damit auch als Gemeindevorstand der christlichen Hausgemeinde. Nur der Glaube der Lydia wird ausdrücklich genannt, nicht der Glaube der Mitglieder des Hausstandes. Hier können also durchaus Sklaven, Kinder oder Säuglinge mit getauft worden sein, die nach antikem Verständnis als unmündig galten und deren Religion wohl in der Verantwortung des Haushaltsvorstandes lag. Allerdings wird das – wie bei allen anderen Haustaufen auch – nicht ausdrücklich erwähnt, da der antike Leser ohnehin weiß, was ein Haus ist und wer dazugehört.
Kritiker der Säuglingstaufe bedenken hier die sechs vorhergehenden Taufberichte der Apostelgeschichte (2,37–42; 8,12; 8,13; 8,26–39; 9,17.18; 10,44–48) mit, und die dort erkennbare Ereignisabfolge: (1) Das Evangelium wird verkündigt, (2) Menschen kommen zum Glauben und (3) lassen sich taufen. Diese Ereignis- und Handlungsabfolge ist wohl auch hier anzunehmen. Doch auch ganz abgesehen davon: Diesem Bericht ist ohnehin kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass zum Haus der Lydia Kleinkinder gehört hätten.
Apostelgeschichte 16,25–34: Das Haus des Kerkermeisters Bearbeiten
Hier ist die Situation ähnlich wie in den meisten anderen Taufberichten der Apostelgeschichte. Die Taufe des Hauses folgt der in diesem Fall äußerst knappen, nächtlichen Verkündigung. Kritiker der Säuglingstaufe verweisen darauf, dass „allen“ in seinem Haus das Evangelium verkündigt wurde, und dass sich „das ganze Haus“ über sein Gläubigwerden freute – beides wird kaum für Kleinkinder (falls solche dabei waren) zutreffen.
Befürworter der Säuglingstaufe hingegen sehen die Taufentscheidung beim Kerkermeister aufgrund seines eigenen Glaubens, also beim Hausherrn, der für seine Familie – und damit auch für etwaig vorhandene Kinder im Säuglingsalter – die religiöse Verantwortung übernimmt. Explizit wird nur vom Glauben des Kerkermeisters geredet, von den Hausbewohnern wird nur gesagt, dass alle die Predigt hörten. So formulieren Paulus und Silas: Glaube du an Jesus, den Herrn, so wirst du und dein Haus selig werden. Und am Ende wird nur von der Freude über seinen Glauben berichtet.
Apostelgeschichte 18,8: Das Haus des Krispus Bearbeiten
Zuhören und zum Glauben kommen gehen hier der Taufe voraus. Ausdrücklich wird – im Unterschied zur vorhergehenden Stelle – erzählt, dass auch das „Haus“ des Krispus gläubig wird.
Kritiker der Säuglingstaufe sehen das als einen eindeutigen Beleg gegen die Taufe Unmündiger – auch im Blick auf die anderen Haustaufen, die diesen Tatbestand ja nicht eindrücklich erwähnen.
Befürworter der Säuglingstaufe weisen dagegen darauf hin, dass aus der für diese Erzählung notwendigen Reihenfolge nicht zwingend eine dogmatische Voraussetzung für jede Taufe zu folgern ist. Das gebe der Text nicht her, sondern sei nur eine mögliche Interpretation. Außerdem dürfe nicht ohne weitere Belege diese eine Bibelstelle auf die anderen übertragen und somit verallgemeinert werden. Es wird im Übrigen nicht berichtet, wie das ganze Haus konkret zum Glauben kam.
1. Korinther 1,16 f.: Das Haus des Stephanas Bearbeiten
Zu den Getauften des Hauses Stephanas könnten Säuglinge gehört haben – so die Befürworter der Kindertaufe.
Dagegen wird folgende Bemerkung zum Haus des Stephanas angeführt: Ich ermahne euch aber, liebe Brüder: Ihr kennt das Haus des Stephanas, dass sie die Erstlinge in Achaia sind und haben sich selbst bereitgestellt zum Dienst für die Heiligen – 1. Korinther 16,15. Säuglinge könnten sich nur schwerlich selbst zum Dienst bereitstellen.
Befürworter der Kindertaufe lassen dieses Argument jedoch nicht gelten, weil diese Redewendung keine Aussage über jedes einzelne Mitglied des Hauses mache. Paulus hätte auf keinen Fall so ausgefeilt und penibel geschrieben wie Ihr kennt das Haus des Stephanas, dass sie die Erstlinge sind und die mündigen Erwachsenen unter ihnen haben sich selbst zum Dienst bereitgestellt. Der Sachverhalt sei für alle Leser selbstverständlich klar gewesen.
Historischer Kontext Bearbeiten
Oikos Bearbeiten
Den Mittelpunkt des Lebens bildete in der Antike das Haus (altgriechisch: Oikos; lateinisch: Domus), also die gesamte Hausgemeinschaft mit Familie, Gesinde und Sklaven. Diese Hausgemeinschaft galt als soziale, wirtschaftliche und religiös-kultische Einheit. Der Hausvater vertrat das Haus als pater familias nach außen und bestimmte die internen Lebensvollzüge, im römischen Bereich mit mehr Rechten als im griechischsprachigen.
Schon im Alten Testament ist diese soziale Ordnung belegt, so bestimmt etwa Josua (Jos 24,12 EU): „Ich und mein Haus wollen dem Herrn folgen.“
Im Christentum handelten in religiöser Hinsicht aber die Individuen letztlich eigenverantwortlich, wie Jesus selbst in einem harten Ausspruch zuspitzte: Er sei gekommen, um „den Sohn mit seinem Vater zu entzweien“ usw., so dass gelte: „Die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein.“ (Mt 10,34–37 EU) Hier ist also nicht an einheitliche religiöse Entscheidungen als Familie gedacht – gerade eines Individuums Entscheidung für Jesus konnte zu innerfamiliären Konflikten führen. Daher erwartete Jesus auch für den Zeitpunkt seines Wiederkommens eine durch engste Verbindungen hindurchgehende Trennungen: „In jener Nacht werden zwei auf einem Bett liegen, der eine wird mitgenommen und der andere zurückgelassen werden.“ (Lk 17,34 EU)
Es war daher auch durchaus nicht selbstverständlich, dass die Ehefrau die Entscheidung ihres Mannes für Jesus mitvollzog; für diesen Fall des religiösen ehelichen Unterschieds gibt Paulus Ratschläge: „Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat …“ (1 Kor 7,12 EU) Der Philemonbrief des Paulus zeigt einen Fall, in dem der Hausherr Philemon bereits Christ war, aber sein Sklave Onesimus erst später – und unabhängig von seinem Herrn – Christ wurde. Auch im 2. Jahrhundert nach Christus wurde von Sklaven nicht erwartet, dass sie die Entscheidung ihres Herrn automatisch mitvollzogen. Aristides schreibt um 125 nach Christus in seiner Apologie (15,6) über die Christen: „Den Sklaven und Sklavinnen sowie deren Kindern raten sie aus Liebe zu ihnen, Christen zu werden; und wenn sie es geworden sind, so nennen sie diese unterschiedslos Brüder.“ Und Tertullian setzte sich (um 200 n. Chr.) mit dem Fall auseinander, was ein christlicher Herr tun sollte, wenn seine heidnischen Sklaven (gemäß einem heidnischen Brauch) die Haustür mit Kränzen geschmückt haben (De idololatria 15).
Von Anfang an der Ausbreitung des Christentums war das „Haus“ Zentrum der ersten Gemeinden, wie Paulus in seinen Briefen als selbstverständlich voraussetzt. In diesen Hausgemeinden lebten die aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammenden Getauften die Einheit und Gleichheit vor Gott. Die Hausgemeinde war jedoch nicht identisch mit den Bewohnern des Hauses, in dem die Gemeinde sich versammelte, sondern entsprach eher der antiken Tradition der Kultvereine.
GANZ und ALLE in der Bibel Bearbeiten
Die Begriffe ganz oder alle sind nicht immer im Sinn von 100 % zu verstehen – weder in damaligem noch in heutigem Sprachgebrauch. Dazu einige Beispiele.
Im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer heißt es:
Doch gleichzeitig wurde Johannes von vielen abgelehnt (Matthäus 11,18; 21,25 f.); diese haben sich also kaum von Johannes taufen lassen.
Und Jesus sagte über die Schriftgelehrten:
Aber den gleichen Schriftgelehrten hielt Jesus vor, dass sie Gottes Gebot um ihrer Überlieferung willen missachten (Matthäus 15,3). Jesus meinte folglich nicht im absoluten Sinn, dass alles, was die Schriftgelehrten sagen, getan werden soll.
Im AT wird einmal von einem „ganzen Haus“ gesprochen, ohne dabei alle Familienmitglieder einzuschließen:
Elkana zog also „mit seinem ganzen Haus“ hinauf, aber eine seiner beiden Frauen sowie sein kleinstes Kind, ein Säugling, blieben daheim.
Forschungsstand Bearbeiten
Der Forschungsstand zu den Berichten über Haustaufen im NT sowie über weitere Indizien im Frühchristentum lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Allerdings ist die Taufe im NT mitnichten zwangsläufig an eine eigene, selbstständige Entscheidung gebunden:
Literatur Bearbeiten
- Franz Stuhlhofer: Symbol oder Realität? – Taufe und Abendmahl. Schwengeler, Berneck 1988, ISBN 3-85666-033-X, S. 34–38: „Taufe ganzer Häuser“.
- Erich Dinkler: Taufe im Urchristentum. im Art.: Taufe. in: RGG, Bd. VI, Tübingen 1962, Sp. 626–660.
- George R. Beasley-Murray: Die christliche Taufe. Eine Untersuchung über ihr Verständnis in Geschichte und Gegenwart. Kassel 1968, S. 407–421: „Die Taufe der Häuser und die Solidarität der Familie“.
- Markus Barth: Die Taufe – ein Sakrament? Zollikon-Zürich 1951
- Gerhard Delling: Zur Taufe von „Häusern“ im Urchristentum. In: Novum Testamentum 7 (1964/65) S. 285–311.
- Peter Weigandt: Zur sogenannten „Oikosformel“. In: Novum Testamentum 6 (1963/64) S. 49–74.
Einzelbelege Bearbeiten
- Zum Begriff Oikos siehe Herbert Stettberger: Was die Bibel mir erzählt: aktuelle exegetische und religionsdidaktische Streiflichter auf ausgewählte Bibeltexte. Festschrift für Prof. Dr. Franz Laub, Münster 2005, S. 126ff
- Die hier aufgeführten Belege nach Franz Stuhlhofer: Symbol oder Realität? – Taufe und Abendmahl. Berneck 1988, S. 34 f.
- Udo Schnelle: Paulus. Walter de Gruyter, 2003; S. 155–158
- Ulrich Mell: Christliche Hauskirche und Neues Testament: die Ikonologie des Baptisteriums von Dura Europos und das Diatessaron Tatians. Vandenhoeck & Ruprecht, 2010; S. 34–36 online
- Jesu Aussage ist wohl eher in folgendem Sinn zu verstehen: Was die Schriftgelehrten sagen, ist ja im Großen und Ganzen gut, was sie hingegen tun, deckt sich bei weitem nicht mit ihren Worten.
- Zur Bedeutung von ganz und alle siehe Stuhlhofer: Symbol, S. 20 und 37 f.
- Erich Dinkler: Taufe im Urchristentum. im Art.: Taufe. in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. VI, Tübingen 1962, Sp. 636.
- Friedrich Avemarie: Taufe, II. Neues Testament, Sp. 58; in Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage, Tübingen 2005, Bd. 8, Sp. 50–92, Art.: Taufe.