www.wikidata.de-de.nina.az
Der Eisenbahnunfall im Gare de Lyon war der Auffahrunfall eines Nahverkehrszuges dessen Bremse versehentlich ausser Funktion gesetzt worden war auf einen im Tiefbahnhof des Gare de Lyon in Paris stehenden zweiten Nahverkehrszug am 27 Juni 1988 um 19 09 Uhr 56 Menschen starben Feuerwehrleute beim Einsatz an der Unfallstelle Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangssituation 2 Unfallhergang 2 1 Geschehen im Bahnhof Le Vert de Maisons 2 2 Fahrt zum Gare de Lyon 2 3 Im Gare de Lyon 3 Folgen 3 1 Unfallort 3 2 Ermittlungen 3 3 Technische Konsequenzen 3 4 Gerichtsverfahren 4 Vergleichbare Unglucke 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseAusgangssituation Bearbeiten nbsp Ein Triebzug der Baureihe Z 5300 baugleich mit den Zugen die in den Unfall verwickelt warenDer Gare de Lyon ist ein Kopfbahnhof und hat einen Tiefbahnhof mit vier Gleisen der dem Vorortverkehr dient Von Gleis 2 hatte der Triebfahrzeugfuhrer Andre Tanguy um 19 04 mit dem Nahverkehrszug Nr 153951 einem Triebzug des Typs Z 5300 nach Melun abfahren sollen Sein Zugfuhrer hatte sich jedoch verspatet so dass er funf Minuten spater immer noch am Bahnsteig stand Das fuhrte dazu dass immer mehr Reisende zustiegen Das vorderste Fahrzeug des Triebzugs stand genau auf Hohe der Zugangstreppe zum Bahnsteig so dass der Zug hier besonders voll wurde Ein zweiter Zug Nr 153944 war von Melun Abfahrt 17 38 Uhr nach Paris unterwegs Er bestand aus zwei viergliedrigen Garnituren desselben Typs Z 5300 Diese Fahrzeuge haben zum einen eine Druckluftbremse zum anderen eine elektrische Bremse die den Verschleiss der Bremsbelage beim Bremsen bei hoher Geschwindigkeit mindern soll Die elektrische Bremse wurde jedoch von den Triebfahrzeugfuhrern ungern genutzt da ihr Einsatz zusammen mit der Druckluftbremse die Rader blockieren konnte Kurz vor dem 27 Juni 1988 hatte der Wechsel auf den Sommerfahrplan stattgefunden Einer Reisenden einer 21 jahrigen alleinerziehenden Mutter war entgangen dass der Zug nun nicht mehr am Bahnhof Le Vert de Maisons hielt Um ihre Kinder rechtzeitig von der Schule abholen zu konnen betatigte sie dort um 18 36 Uhr die Notbremse stieg aus und verliess anschliessend zugig den Bahnhof Unfallhergang BearbeitenGeschehen im Bahnhof Le Vert de Maisons Bearbeiten nbsp Gleis 2 des Tiefbahnhofs unter dem Gare de Lyon mit einem Triebzug der Baureihe Z 5300Der Triebfahrzeugfuhrer musste nach der Notbremsung die Bremsen des Triebzugs in den Normalzustand zurucksetzen Dazu musste er einen Hebel an der Wand zwischen den Wagen ziehen Er nutzte dazu den nachst erreichbaren Hebel zwischen dem vorderen Motorwagen und dem zweiten Segment des Triebzugs Da der Hebel klemmte suchte der Lokfuhrer zusatzlichen Halt Dabei verschloss er versehentlich und unbemerkt die durchgehende Bremsleitung Dadurch waren die hinteren sieben von insgesamt acht Wagen vom Bremssystem getrennt Das fuhrte zunachst dazu dass der Triebfahrzeugfuhrer die von der Notbremsung noch anliegenden Bremsen dieser Wagen nicht losen konnte Der Triebfahrzeugfuhrer hatte vorschriftsgemass jetzt einen Techniker rufen mussen der den Fehler vermutlich erkannt hatte Das Herbeirufen eines Technikers hatte jedoch viel Zeit in Anspruch genommen und der Triebfahrzeugfuhrer wollte sich nicht weiter verspaten Er versuchte das Problem selbst zu losen Er glaubte dass der Luftdruck in der Bremsleitung zu hoch sei dass ein so genannter Luftverschluss entstanden sei was geschehen kann wenn die Notbremse betatigt wird Deshalb lief er auf der einen Seite des Zuges entlang und liess manuell an allen sieben Fahrzeugen die Druckluft ab Der Zugfuhrer tat das Gleiche auf der anderen Seite des Zuges Dadurch losten sich die Bremsen Durch die versehentlich geschlossene Hauptluftleitung gelangte nun keine Luft mehr in die Bremsanlage der hinteren sieben Fahrzeuge deren Bremsen waren damit funktionslos Nur die Bremsen des vorderen Triebwagens selbst und damit nur ein Achtel der ublichen Bremsleistung standen noch zur Verfugung Der Aufenthalt im Bahnhof hatte nun schon recht lange gedauert und einige Reisende verliessen den Zug um ihre Ziele anders zu erreichen Dies hat die Zahl der spater Geschadigten vermindert Fahrt zum Gare de Lyon Bearbeiten Das Manometer des vorderen Triebfahrzeugs zeigte den normalen Wert wodurch der Triebfahrzeugfuhrer glaubte dass alles in Ordnung sei Angezeigt wurde jedoch nur der Druck im Bremssystem des Triebfahrzeugs selbst Um 19 02 Uhr fuhr der Zug mit erheblicher Verspatung von 26 Minuten wieder an und der Triebfahrzeugfuhrer sprach per Zugfunk mit der Zugleitstelle Diese wies ihn an den letzten fahrplanmassigen Halt vor dem Gare de Lyon Maisons Alfort auszulassen um etwas von der Verspatung aufzuholen und andere Zuge nicht zu behindern Dieser Bahnhof liegt 6 5 km vor dem Gare de Lyon in ebenem Gelande Hatte der Triebfahrzeugfuhrer versucht hier zu halten hatte er die fehlende Bremskraft bemerkt Der Zug hatte dann noch ausrollen konnen 1 5 km vor dem Gare de Lyon zeigte ein Signal Langsamfahrt erwarten und der Triebfahrzeugfuhrer bremste Er merkte dass die Bremse nicht ordnungsgemass arbeitete Mit der nur in Bruchteilen verfugbaren Bremskraft konnte er den Zug nur von 96 auf 45 km h abbremsen Dann erreichte er die Rampe die mit 43 1 zum Tiefbahnhof des Gare de Lyon abfallt Nun uberwog die Schwerkraft gegenuber der verbliebenen Bremskraft und der Zug beschleunigte Um 19 07 30 Uhr teilte der Triebfahrzeugfuhrer der Zugleitstelle mit dass er keine funktionsfahigen Bremsen habe Die loste einen allgemeinen Alarm im zustandigen Stellwerk und den Fuhrerstanden der Zuge im Umfeld von etwa 10 km aus In der Eile unterliefen dem Triebfahrzeugfuhrer nun zwei verhangnisvolle Fehler Bei der Mitteilung an das Stellwerk vergass er anzugeben von welchem Zug aus er sich meldete und er vergass die selten genutzte elektrische Bremse und schaltete sie nicht ein Sie hatte vermutlich einen erheblichen Teil der Energie des Zuges absorbiert Nach spateren Berechnungen hatte es bei ihrem Einsatz nur einen leichten Aufprall gegeben Andererseits rettete der Triebfahrzeugfuhrer nun vielen Fahrgasten das Leben indem er den Fuhrerstand verliess und sie in den letzten Wagen brachte Sie waren so auf den Aufprall vorbereitet und an der relativ sichersten Stelle im Zug Keiner dieser Reisenden wurde schwer verletzt Im Gare de Lyon Bearbeiten Die Weichen in der Einfahrt zum Tiefbahnhof des Gare de Lyon waren so programmiert dass ein Zug automatisch einen freien Bahnsteig anfuhr Anders als in Deutschland ist es in Frankreich nicht ublich einem Zug im Fahrplan ein Gleis zuzuweisen Dies wird normalerweise je nach Verkehrslage flexibel entschieden Nachdem im Stellwerk das fur den Tiefbahnhof zustandig war der Notruf einging stellte dessen Fahrdienstleiter mit einem Notschalter alle Signale auf Halt Dadurch wurde aber auch die Automatik ausser Kraft gesetzt die einem einfahrenden Zug automatisch einen freien Bahnsteig zuwies Diese Schaltung sollte bewirken dass die Mitarbeiter auf dem Stellwerk im Notfall die volle Verfugung uber die Gleisanlagen haben sollten Vorgesehenes Verfahren bei einem ausser Kontrolle geratenen Zug war es ihn auf ein freies Gleis zu leiten Da der Triebfahrzeugfuhrer des Zuges aus Melun aber vergessen hatte seinen Namen oder den Zug zu nennen kamen fur den Fahrdienstleiter vier Zuge als moglicherweise ausser Kontrolle geraten in Frage die alle auf den Gare de Lyon zufuhren Der Triebfahrzeugfuhrer des Zuges aus Melun war fur den Fahrdienstleiter auch nicht mehr erreichbar da er damit begonnen hatte die Reisenden seines Zuges in den hinteren Zugteil zu evakuieren Dadurch dass nun alle Signale Halt zeigten blieben alle anderen Zuge stehen Deren Triebfahrzeugfuhrer versuchten nun den Fahrdienstleiter zu erreichen Die Flut von Anrufen in den wenigen verbleibenden Sekunden hinderte den Fahrdienstleiter den Problemzug zu identifizieren Da alle Voreinstellungen fur die Fahrstrassen geloscht waren wurden auch die Weichen fur den Zug aus Melun nicht wie programmiert gestellt sondern blieben in der Stellung liegen die sie eingenommen hatten als das Notfallprogramm in Kraft gesetzt wurde Damit befand sich der Zug aus Melun auf Kollisionskurs zu dem mit leichter Verspatung noch am Bahnsteig stehenden Zug Dessen Zugfuhrer war inzwischen erschienen das Ausfahrtsignal fur den Zug zeigte jedoch Halt wie alle anderen Signale im Bahnhof Ware der Zug aus Melun in das ursprunglich vorgesehene freie Gleis gefahren hatte das zu einer Prellbockuberfahrt gefuhrt Der Zug ware dann zwar beschadigt worden er hatte aber den zweiten Zug nicht getroffen und wahrscheinlich ware niemand ernsthaft verletzt worden Erst 30 Sekunden vor dem Aufprall war fur das Stellwerk klar bei welchem Zug das Bremsproblem aufgetreten war und dass der ausser Kontrolle geratene Zug in das belegte Gleis einfuhr Uber die Lautsprecher des Bahnsteigs forderte das Stellwerk die Reisenden auf den Zug zu verlassen Triebfahrzeugfuhrer Andre Tanguy horte dies und forderte nun seinerseits uber die Sprechanlage des Zuges die Fahrgaste wiederholt auf den Zug sofort zu verlassen Als er den auf ihn zukommenden Zug sah blieb er gleichwohl am Mikrofon und wiederholte seine Warnung Er rettete damit vielen Fahrgasten das Leben Tanguy selbst uberlebte den Aufprall nicht Folgen Bearbeiten nbsp Auf dem Bahnsteig B wurde fur die Opfer des Unglucks im unterirdischen Gare de Lyon ein Denkmal errichtetUnfallort Bearbeiten Mit uber 70 km h prallte der einfahrende auf den im Bahnhof stehenden Zug um 19 09 Uhr auf Dieser wurde gegen die Ruckwand und in sich 30 Meter zusammengedruckt Die jeweils ersten Fahrzeuge der Zuge schoben sich ineinander und weitere des stehenden Zuges wurden zerstort Nur ganz wenige derer die den Wagen noch nicht verlassen hatten uberlebten Bei dem Unfall starben 56 Menschen 57 wurden daruber hinaus verletzt Die ersten Rettungskrafte trafen um 19 20 ein Einige Verletzte konnten nur durch Amputation von Gliedmassen rechtzeitig aus den Trummern geborgen werden Personal und Reisende des Zuges aus Melun die bei dem Unfall im hinteren Zugteil versammelt waren kamen mit leichten Verletzungen davon Am Bahnsteig B des Tiefbahnhofs wurde spater ein Denkmal errichtet und jedes Jahr findet fur Uberlebende und Hinterbliebene eine Gedenkfeier im Bahnhof statt Ermittlungen Bearbeiten Anfanglich wurde auch ein Terror oder Sabotageakt fur moglich gehalten da es in den sieben Jahren zuvor mehrere Anschlage auf Zuge gegeben hatte Die Untersuchungskommission kam zu folgenden Schlussen Hauptursache fur den Unfall war das Fehlverhalten des Triebfahrzeugfuhrers des Zuges von Melun Der Hebel mit dem die Bremsleitung abzusperren war war zu leicht umzustellen Der Bahnfunk war zu kompliziert und die Triebfahrzeugfuhrer hatten dafur besser ausgebildet werden mussen Das Notprogramm musse so umgestaltet werden dass alle Signale Halt zeigen ohne dass die automatische Zugleitung entfallt Technische Konsequenzen Bearbeiten In der Folge wurde in den Zugen eine dauerhafte Notbremsuberbruckung installiert das heisst dass der Reisende durch das Ziehen der Notbremse nur den Triebfahrzeugfuhrer alarmiert der dann die Bremsung auslost In Kopfbahnhofen wurden hoch absorbierende Prellbocke installiert Die Ausbildung der Triebfahrzeugfuhrer wurde verbessert das Funksystem modernisiert Gerichtsverfahren Bearbeiten Die Reisende die in Vert de Maisons die Notbremse betatigt hatte meldete sich nach einem Aufruf in den Medien am Tag nach dem Ungluck Gegen sie wurde ebenso wie gegen den Triebfahrzeugfuhrer den Zugfuhrer und die Mitarbeiter auf dem Stellwerk ein Strafverfahren eingeleitet Erstinstanzlich wurde der Triebfahrzeugfuhrer wegen fahrlassiger Totung zu einer vierjahrigen Freiheitsstrafe verurteilt Der Zugfuhrer erhielt sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewahrung die Reisende die die Notbremse betatigt hatte und die Mitarbeiter des Stellwerks Geldstrafen 2 Das Urteil loste am Folgetag einen Streik bei der SNCF aus Der zweitinstanzliche Prozess vor dem Appellationsgericht endete mit einer Strafe von sechs Monaten Gefangnis mit Bewahrung fur den Triebfahrzeugfuhrer und einer Geldstrafe fur die Reisende die die Notbremse gezogen hatte Alle anderen wurden freigesprochen 3 Vergleichbare Unglucke BearbeitenIn seinen hauptsachlichen Ursachen gleicht das Ungluck dem spateren Eisenbahnunfall von Durrenast aus dem Jahr 2006 Literatur BearbeitenBernard Collardey Les trains de banlieue 2 Vlg La Vie du Rail 1999 ISBN 2 902808 76 3Weblinks BearbeitenEin Foto von der Unfallstelle und Skizze des Unfallgeschehens Memento vom 17 April 2009 im Internet Archive 24 Sekunden vor dem Ungluck Das Zugungluck von Paris Doku Einzelnachweise Bearbeiten Collardey S 226 Dominique Begles Prison ferme Memento vom 4 Januar 2010 im Internet Archive In L Humanite v 15 Dezember 1992 NN Gare de lyon une catastrophe en appel Memento vom 12 Januar 2010 im Internet Archive In L Humanite v 16 September 1993 48 844722222222 2 3736111111111 Koordinaten 48 50 41 N 2 22 25 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Eisenbahnunfall im Gare de Lyon amp oldid 238856496