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Als Delfter Modell wurde vor allem in den 1970er und 1980er Jahren ein komplexes stadtebauliches Konzept zur Verkehrsberuhigung von Wohngebieten der niederlandischen Stadt Delft bezeichnet 1 2 3 4 Kernstuck des Konzepts war die Abkehr von der Gliederung einer Strasse in Gehweg Bordstein Fahrbahn Bordstein Gehweg Diese raumliche Trennung von Fussgangern und Fahrzeugen im traditionellen Strassen und Wegebau wurden zugunsten sogenannter Woonerven Wohnhofe aufgegeben wo die Wohnfunktion Vorrang vor der Verkehrsfunktion hat Das bedeutet dass der vorhandene Raum von allen aber besonders von Kindern und alten Menschen in vielfaltiger Weise benutzt werden darf 5 und dass das Kraftfahrzeug seine dominierende Stellung verlor und eine Anpassung der Geschwindigkeit des motorisierten Verkehrs an die der Fussganger und Fahrradfahrer erforderlich wurde 6 Woonerf in einem NeubauviertelIn Deutschland hat sich hierfur die Bezeichnung Verkehrsberuhigter Bereich durchgesetzt in Osterreich Wohnstrasse und in der Schweiz Begegnungszone Entstehung BearbeitenAuch in Delft hatten die Verkehrsplaner zunachst wie andernorts durch Einbahnstrassen Regelungen Geschwindigkeitsbegrenzungen und Bremsschwellen den Durchgangsverkehr aus reinen Wohngebieten fernzuhalten versucht Der erhoffte Erfolg blieb jedoch aus im Gegenteil die Bremsschwellen dienten Motorradern und Mopedfahrern als Sprungschanzen und fuhrten zu Beschwerden der Anwohner Auch konnte so der Parkplatz Suchverkehr der damals jahrlich rund zehn Millionen Touristen nicht wirksam kanalisiert werden Als Reaktion auf den Misserfolg wurde die gesamte Delfter Innenstadt in neun Stadtbezirke aufteilt die untereinander keine Verbindungen fur PKW und LKW besassen Stattdessen leitete man den Verkehr aus diesen Bezirken auf eine Ringstrasse von der die Bezirke ausschliesslich erreichbar waren Es gibt keine Moglichkeit die Innenstadt direkt zu durchqueren Man stosst immer wieder auf die Ringstrasse 7 Entlang der Ringstrasse wurden Hinweistafeln mit Richtungspfeilen fur die neun Stadtbezirke aufgestellt Obwohl der Durchgangsverkehr auf diese Weise weitgehend verdrangt worden war blieben die Unfallraten mit Kindern alteren Menschen und Radfahrern relativ hoch Auf den Einbahnstrassen wurden die Geschwindigkeitsbegrenzungen auch von den Anwohnern missachtet spielende Kinder und Fussganger die zwischen parkenden Autos auf die Strasse traten wurden von den Autofahrern ofter ubersehen Den Delfter Planern geriet nunmehr der relativ unstabile Untergrund der Stadt zum Vorteil Der hohe Grundwasserspiegel fuhrt zu stetigen Setzungen weswegen das Strassenpflaster vielerorts bereits funf Jahre nach dem Verlegen erneut hergerichtet werden muss Aus diesem Grund werden viele Strassen in den Niederlanden aus Ziegelsteinen gepflastert und nicht asphaltiert Die Delfter Planer erprobten daher bei anstehenden Strassenbauarbeiten ein neuartiges Konzept das den Niederlanden bis Anfang der 1980er Jahre die meisten Erfahrungen mit Verkehrsberuhigung in Europa einbrachte 8 und zum Kernstuck des Delfter Modells wurde die sogenannten verschwenkten Fahrbahnen durch Fahrgassenversatz ein Prinzip das bald auch in den Nachbarlandern aufgegriffen wurde So heisst es beispielsweise 1979 in der Schriftenreihe des deutschen Bundesministeriums fur Raumordnung Bauwesen und Stadtebau Ordnung des ruhenden Verkehrs im Sinne einer Verkehrsberuhigung muss zum Ziel haben die Kraftfahrer zu mehr Rucksicht verminderter Geschwindigkeit und defensiver Fahrweise anzuhalten Es geht darum dass Kraftfahrer und Fussganger sich rechtzeitig sehen konnen und dass Gehwege freigehalten werden Daraus ergeben sich folgende Anforderungen 1 Stellplatze sind grundsatzlich nur an einer Fahrbahnseite anzuordnen 2 Die freigehaltene Fahrbahnseite ist so zu wahlen dass die Sichtbarkeit kritischer Stellen Schulen Kindergarten Knotenpunkten Einfahrten u a gewahrleistet wird 3 Stellplatze sind so anzuordnen dass die Langsachse der Fahrbahn nicht auf langere Strecken geradlinig verlauft Versatz Solche Versatze konnen erzielt werden wenn etwa alle 50 m diejenige Strassenseite auf der die Fahrzeuge abgestellt werden konnen geandert wird Empfehlenswert ist ein Versatz der Fahrgasse an solchen Stellen an denen mit haufigem Fussgangerquerverkehr zu rechnen ist 9 In Delft markierten zunachst in einigen Testbereichen Fahrradstander die Versatze bald gesellten sich jedoch Blumenkasten Baume und Kinderspielgerate hinzu Statt die Autos parallel zur Strasse zu parken wurden Stellplatze schrag oder im rechten Winkel zur Strasse abmarkiert wenn umfangreichere Reparaturen des Strassenpflasters anstanden Zugleich wurde dann die Strasse in ihrer gesamten Breite auf ein einheitliches Niveau gebracht so dass Bordsteine uberflussig wurden Dennoch blieb erkennbar welche Bereiche einer Strasse auch weiterhin von Fahrzeugen genutzt werden durften denn unterschiedliche Pflasterarten mit Ziegelsteinen Verbundsteinen und Kopfpflaster markierten auch fur den Fahrverkehr korperlich wahrnehmbar die unterschiedlichen Bereiche 10 Um die Akzeptanz der Umgestaltung durch die Anwohner sicherzustellen wurden diese ab Beginn der Planungsarbeiten fur ihre kunftige Woonerf insbesondere in die Detailplanung einbezogen Es wurden jedem Haushalt verstandliche Lageplane zur Verfugung gestellt die kommentiert zuruckgegeben werden konnten mit dem Ziel dass beispielsweise zusatzliche Sitzgelegenheiten nicht ausgerechnet vor einem Schlafzimmer eingeplant wurden Abschliessend fanden Burgerversammlungen statt Auch das deutsche Bundesbauministerium empfahl 1980 einen solchen relativ aufwandigen Planungsprozess Die spezifischen Bedingungen der einzelnen Stadtquartiere mussen detailliert erfasst und berucksichtigt werden Deshalb sollten die Burger auch Gelegenheit finden ihre Vorstellungen von der Entwicklung ihres Wohnquartiers einzubringen Verkehrsberuhigung ist ohne aktive Beteiligung und Mitarbeit der Bewohner eines Stadtteils kaum vorstellbar und politisch meist auch nicht durchzusetzen Plane zur Entwicklung einzelner Stadtteile sind daher ein gutes Mittel fur einen konstruktiven Dialog zwischen Burger und planender Verwaltung 11 Literatur BearbeitenPlanungsfibel zur Verkehrsberuhigung Schriftenreihe Stadtebauliche Forschung des Bundesministers fur Raumordnung Bauwesen und Stadtebau 03 090 Bonn 1982 Belege Bearbeiten Begegnungszonen Rucksicht statt Vorsicht In Fussverkehr Nr 1 2016 S 3 Chronik der Stadt Kelkheim Marz April 1979 Burger Nachrichten Nr 12 Lubeck 1979 S 2 Wird der Stadtteil Hausen zum Delft an der Nidda In Frankfurter Nachrichten vom 21 Februar 1980 Teilausgabe Nordwest Flachenhafte Verkehrsberuhigung Memento vom 22 November 2010 im Internet Archive Beitrag vom Umweltbundesamt PDF 206 KB Ulla Schreiber Modelle fur humanes Wohnen Moderne Stadtarchitektur in den Niederlanden DuMont Buchverlag Koln 1982 ISBN 3 7701 1319 5 S 140 Die Autorin ist seit 1980 freie Architektin und Stadtplanerin und war von 2002 bis 2010 Bauburgermeisterin von Tubingen Einfluss von verkehrsberuhigenden Massnahmen auf die PM10 Belastung an Strassen Berichte der Bundesanstalt fur Strassenwesen Verkehrstechnik Heft V 189 Bergisch Gladbach 2010 ISBN 978 3 86509 985 3 S 8 Ulla Schreiber Modelle fur humanes Wohnen S 141 Der Minister fur Wirtschaft Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein Westfalen Hrsg Grossversuch Verkehrsberuhigung in Wohngebieten Schussbericht der Beratergruppe Kirschbaum Verlag Koln 1979 S 96 Verkehrsberuhigung Schriftenreihe des Bundesministeriums fur Raumordnung Bauwesen und Stadtebau 03 071 Bonn 1979 S 109 f Ulla Schreiber Modelle fur humanes Wohnen S 143 Der Bundesminister fur Raumordnung Bauwesen und Stadtebau Hrsg Wohnstrassen der Zukunft Verkehrsberuhigung zur Verbesserung des Wohnumfeldes Bonn 1980 S 51 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Delfter Modell amp oldid 232423814