Das Bestellpunktsystem (auch Bestellpunktverfahren) ist ein Verfahren zur Bestimmung von Bestellzeitpunkt und Bestellmenge in der Lagerhaltung. Durch die Anwendung des Bestellpunktsystems wird sichergestellt, dass immer Ware im Lager verfügbar ist, wenn sie benötigt wird. Das Bestellpunktsystem ist ein Teilbereich der Bestellpolitik. Es gehört zu den verbrauchsorientierten Bestellverfahren, die in Bestellpunktsystem und Bestellrhythmussystem unterteilt werden können.
Eigenschaften Bearbeiten
Beim Bestellpunktsystem wird eine Bestellung ausgelöst, sobald im Lager ein zuvor festgelegter Meldebestand (s) (= Bestellpunkt) erreicht wird. Diese Überprüfung erfolgt nach jedem Lagerabgang. Da die Bestelltermine nicht im Vorhinein definiert sind, spricht man von variablen Bestellterminen.
Die Höhe des Meldebestandes ist abhängig vom typischen Verbrauch bis zum Eintreffen der bestellten Ware und einem Sicherheitsbestand (= eiserne Reserve), falls es zu ungewöhnlichen Lieferzeiten oder höheren Verbräuchen kommt. Idealerweise trifft die bestellte Ware dann ein, wenn im Lager gerade der Sicherheitsbestand erreicht wurde.
Im Bestellpunktsystem werden zwei verschiedene Varianten eingesetzt.
- (s,q)-Politik oder Bestellpunkt-Losgrößen-Politik: wird der Meldebestand (s) erreicht, so wird eine festgelegte Menge (q) bestellt. Die Menge q wird meistens anhand der Formel für die optimale Bestellmenge berechnet (siehe unten).
- (s,S)-Politik oder Bestellpunkt-Lagerniveau-Politik: wird der Meldebestand (s) erreicht, so wird das Lager wieder auf den Sollbestand (S) aufgefüllt.
Beide Politiken erfordern eine ständige Beobachtung des Lagerbestandes, was mit den heutigen Bestandsführungssystemen (WWS, ERP, WMS) kein echtes Problem mehr darstellt.
Die feste Bestellmenge (q) wird anhand der Andler'schen Formel für die optimale Bestellmenge definiert:
optimale Bestellmenge =
oder:
optimale Bestellmenge =
Die Berechnung der Bestellmenge bei Einsatz der (s,S)-Politik erfolgt so:
Bestellmenge = S – aktueller Lagerstand
Möglichkeit zur Bestimmung des Meldebestandes Bearbeiten
- Meldebestand = 0
- Meldebestand = typischer Verbrauch bis zum Eintreffen der Lieferung
- Meldebestand = typischer Verbrauch bis zum Eintreffen der Lieferung + Sicherheitsbestand
BP = Meldebestand, Bestellpunkt; DV = Durchschnittlicher Verbrauch pro Zeitspanne; BZ = Beschaffungszeitraum; SB = Sicherheitsbestand, Mindestbestand; SZ = Sicherheitszeit
Sicherheitsbestand Bearbeiten
Da für die Berechnung des Meldebestandes nicht immer genaue Daten vorliegen, werden für die Lieferzeit (= Beschaffungszeit) und den Verbrauch Durchschnittswerte angenommen. Kommt es zu einer verzögerten Lieferung oder zu einem höheren Verbrauch, treten Lücken in der Versorgung auf.
Der Sicherheitsbestand deckt drei Unsicherheiten ab:
- Bedarfsunsicherheit (ermittelter Bedarf stimmt nicht mit dem täglichen Bedarf überein)
- Lieferunsicherheit (Soll-Lieferzeit stimmt nicht mit der Ist-Lieferzeit überein)
- Bestandsunsicherheit (Buchbestand und Lagerbestand stimmen nicht überein)
In jedem Unternehmen kann der Sicherheitsbestand individuell nach eigenem Ermessen festgelegt und unterschiedlich ermittelt werden. Da der Sicherheitsbestand permanent Lagerkosten verursacht, sollte er so gering wie möglich sein.
Das Diagramm veranschaulicht den Vorgang noch einmal grafisch:
Vergleich zum Bestellrhythmussystem Bearbeiten
Da bei jedem Lagerabgang der Lagerbestand mit dem Meldebestand verglichen wird, können kurzfristige Bedarfsschwankungen schneller berücksichtigt werden, weil keine fixen Bestellintervalle vorgegeben sind. Fehlmengenkosten können so leichter reduziert werden, wenn der Meldebestand dementsprechend hoch angesetzt ist. Die Lagerhaltungskosten und somit eine zusätzliche Kapitalbindung sind von der Höhe des Sicherheitsbestandes abhängig.
Siehe auch Bearbeiten
Materialwirtschaft, Beschaffungslogistik, Bestellrhythmussystem
Literatur Bearbeiten
- Werner Kern: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft. Stuttgart 1979, ISBN 3791080172
- Oskar Grün: Industrielle Materialwirtschaft. In: Marcell Schweitzer (Hrsg.): Industriebetriebslehre. 2. Auflage. München 1994, S. 447–568, ISBN 3-8006-1755-2