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Als Anti Aggressivitats Training auch Anti Aggressions Training oder Anti Gewalt Training bezeichnet man einen Trainingskurs der aus einer grosseren Gruppe theoretischer praktischer und korperlicher Ubungen zusammengestellt wird und der Vorbeugung aggressiver Verhaltensweisen im Alltag bzw deren Abbau dient Der alteste Kurs AAT ist heute genormt und validiert 1 doch es gibt zahlreiche andere nicht einheitlich zusammengestellte Kurse die von Psychologen Padagogen oder Sozialpsychologen fur verschiedene Bedurfnisse zusammengestellt und an die jeweilige Klientel und deren Erfordernisse angepasst werden Anti Aggressionstraining Illustration von Akira Okitsu Inhaltsverzeichnis 1 Ziel und Zweck 2 Hintergrund und Einsatzbereiche 3 Kurstyp und Zeitplan 4 Indikation 5 Grundregeln 6 Ubungen und Segmente 7 Kritik 8 Literatur 9 Weblink 10 EinzelnachweiseZiel und Zweck BearbeitenJedes Anti Aggressivitats Training dient dem Zweck aggressiven Verhaltensweisen vorzubeugen oder sie abzubauen damit diese im Alltag seltener oder nicht mehr auftreten Dazu werden kognitive und emotionale Komponenten beobachtet und analysiert Zusatzlich werden die Teilnehmer mit aggressivem Verhalten konfrontiert sowohl dem eigenen als auch dem der anderen Sie sollen lernen selbst auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten auch wenn sie die korperliche Starke dazu haben oder Gewalt aus dem Weg zu gehen wenn sie ihnen begegnet Gewaltanwendung wird als Schwache dargestellt Wer schlagt ist nicht stark genug bessere Konfliktlosungsmoglichkeiten zu nutzen Bei den Trainingseinheiten werden kontrolliert Situationen hergestellt simuliert in denen aggressive Verhaltensmuster auftreten Durch das Eintrainieren von nicht aggressiven alternativen Verhaltensweisen lernen die Teilnehmer wie sie sich besser verhalten konnen Hintergrund und Einsatzbereiche BearbeitenDie unten beschriebenen Techniken sind weitgehend aus USA Einrichtungen und Konzepten adaptierte Verfahren die in Deutschland weiterentwickelt und spezifiziert wurden Fachoffentlich bekannt sind u a die Glen Mills Schools 2 deren Rahmenkonzeption GGI also Group Guided Interaction lautet und Methoden wie den heissen Stuhl beinhaltet 1987 begann der Erziehungswissenschaftler und Kriminologe Jens Weidner in Kenntnis der USA Konzepte sein Antagonistentraining spater 1989 AAT mit Heranwachsenden in der Jugendanstalt Hameln Es kann in anderen Settings eingesetzt werden wie z B im betreuten Jugendwohnen zur U Haft Vermeidung in heilpadagogischen Kinderheimen aber auch ambulant Auch die schulbezogene Jugendsozialarbeit bietet diese Art der Aggressionsbewaltigung als sekundare Gewaltpravention an oft nur mit ausgewahlten Ubungen Kurstyp und Zeitplan BearbeitenWird der originale Kurs AAT nach Weidner durchgefuhrt kann er von den Kursleitern in einer Weiterbildungsmassnahme erlernt und spater angewendet werden Dann ist er modular aufbaubar besteht aber aus einer relativ festgelegten Abfolge von Ubungen Zur Planung von frei gestaltbaren Trainingsmassnahmen gehort vor allem eine genaue Analyse der Anforderungen der Klientel Zudem stellt er an die Kursleiter sowie das Umfeld in dem der Kurs stattfindet einige personliche Anforderungen Fur die genormten Kurse ist eine Zusatzausbildung zum Anti Gewalt Trainer moglich die Padagogen oder Psychologen erwerben konnen Seitens der Durchfuhrenden muss auch Bereitschaft zu simulierten Konflikten vorhanden sein die den Jugendlichen selbst vertraut ist von Aussenstehenden aber erlernt werden muss Zeitplan und die Abfolge der Ubungen richten sich nach dem jeweiligen Kurstyp Meist wird das Training mittel oder langfristig angesetzt d h die Ubungen werden zu ein bis zwei Gelegenheiten pro Woche von mindestens zwei Stunden Dauer uber viele Monate oder ein Jahr durchgefuhrt Es handelt sich um ein echtes Training das die Ubungen wiederholt absolviert um den gewunschten langfristigen Lerneffekt herzustellen Insbesondere der Transfer des eintrainierten Verhaltens auf reale alltagliche Situationen kann nur durch eine langere Massnahme ausreichend bewirkt werden Reine Erklarungen oder Gesprache werden als nicht erfolgversprechend angesehen und gehoren nur begleitend zum Konzept Indikation BearbeitenDie Teilnahme an einem dieser Kurse kann freiwillig geschehen In Haftanstalten sind damit manchmal Anreize oder Vergunstigungen verbunden bzw die Teilnahme wirkt sich positiv auf das weitere Verfahren aus Die Massnahme kann auch mit dem zustandigen Jugendamt abgesprochen oder gerichtlich angeordnet werden Nicht zugelassen werden oft Interessenten mit psychischen Erkrankungen deutlich verminderter Intelligenz oder Teilnehmer vor der Aufarbeitung einer Abhangigkeitsproblematik Das Training eignet sich allgemein nicht fur Tater die zu psychischer Gewalt oder sexueller Gewalt Sexualstraftater neigen da die Ubungen nicht hierauf ausgerichtet sind Im Vorfeld der Trainingsmassnahme steht die Auswahl der Teilnehmer Es wird ein ausfuhrliches Interview gefuhrt das zum Beispiel aus einem Hilfeplan Gesprach hervorgehen kann SchwerpunktsetzungAhnlich wie bei sportlichem Training steht eine grosse Vielzahl von Ubungen zur Verfugung aus denen der Kurs schwerpunktmassig zusammengesetzt wird Oft werden die Teilnehmer vorbereitet mit aggressiven Verhalten konfrontiert Rechtfertigungs und Neutralisierungsstrategien sollen sichtbar gemacht und abgebaut werden die Opfersichtweise wird vermittelt Die Notwendigkeit von Gewalt wird in Frage gestellt und Schlichtungs und Deeskalationsstrategien werden erlernt Dazu gibt es viele praktische Ubungen die kombiniert oder einzeln eingesetzt werden konnen Organisatorische VoraussetzungenWeil es sich um praktische Trainingsmassnahmen handelt sind geeignete Raumlichkeiten notig die auch langfristig zur Verfugung stehen In Haftanstalten werden oft eigene Raume benutzt Allgemein ist eine Sporthalle gunstig Benotigtes Material kann aus dem sportpadagogischen Bereich entnommen werden fur theoretische Ubungsteile wird eine Tafel oder ein Projektor verwendet In Haftanstalten wird die Teilnahme oft von Angestellten oder Sozialpadagogen betreut im heilpadagogischen Bereich erfolgt oft eine enge Zusammenarbeit mit den Wohngruppen Betreuern Einzelfall Beratung Die Zusammenarbeit ermoglicht bessere Ergebnisse und hilft auf die Bedurfnisse jedes Teilnehmers einzugehen Grundregeln BearbeitenGewalt und Aggression sind menschliche Verhaltensweisen die zur Kenntnis genommen werden Sie werden allerdings nicht akzeptiert sondern sollen durch Regeln und Normen kultiviert werden Zu Beginn des Trainings werden oft einige allgemeine Regeln aufgestellt die ausgehangt oder schriftlich auf einer Tafel festgehalten werden konnen Regelverletzungen werden oft als ein Zeichen dafur gewertet dass die Teilnehmer noch nicht so weit sind die jeweilige Ubung durchzufuhren Die Grundregeln besagen Keine gegenseitigen Verletzungen Nur simulieren kein Ernst Falls aus einer Ubung plotzlich Ernst werden sollte wird sie vom Leiter abgebrochen Die Situation wird wieder auf eine theoretische Ebene verlagert Keine Ausgrenzung Niemand darf einen anderen ausgrenzen Schwache und Starke gehoren gemeinsam zur Gruppe sie konnen diese Position nicht verlieren Nichts unter den Teppich kehren Treten Konflikte auf werden die Teilnehmer sofort mit ihnen konfrontiert Es wird niemals abgebrochen oder aber der Konflikt verschwiegen Ubungen und Segmente BearbeitenViele aber nicht alle Ubungen folgen dem Konfrontationsprinzip Die Teilnehmer werden mit Gewalt oder provozierenden Situationen konfrontiert und sollen lernen diese Situationen auszuhalten ohne selbst gewalttatig zu werden ProvokationshierarchieOft wird in Gesprachen und wahrend der Ubungen eine Provokationshierarchie herausgearbeitet Dabei geben die Teilnehmer an welche Situationen fur sie individuell leichter oder schwerer gewaltfrei zu bewaltigen sind bzw inwieweit sie wann noch gelassen bleiben konnen Die Grenze zwischen Gelassenheit und aggressiver Verhaltensweise soll in dieser Hierarchie schrittweise heraufgesetzt werden Dazu dienen die Ubungen Kooperative UbungenBei den sogenannten kooperativen Ubungen werden Aufgaben gestellt die naturgemass nur gemeinsam gelost werden konnen Hierbei steht nicht unbedingt die Gewalt im Vordergrund sondern eine neutrale Aufgabe Wird diese gemeinsam gelost erwerben die Teilnehmer Vertrauen in den anderen Beispiele sind gemeinsames Klettern Geschick erfordernde handwerkliche Tatigkeiten wie gemeinsames Sagen mit einer Handsage und erlebnispadagogische Aktionen wie Paddelboot Fahrten oder Ausfluge KorperubungenHierzu zahlt das Kampfen nach Regeln Der sport und korpertherapeutische Schwerpunkt Kampfkunst als Therapie wurde von Jorg Michael Wolters in den Jahren 1989 91 in Hameln entwickelt und dessen Erfolg mit wissenschaftlicher Studie 3 empirisch belegt Spater wurden Korperubungen eingefuhrt und dabei oft nur noch Elemente aus dem Judo oder dem Ringen verwendet Die Ubungen dienen dazu fur das Thema Gewalt zu sensibilisieren Es kommt nicht auf das Training sportlicher Fahigkeiten an Man fuhrt damit vor dass Starke beweisen sich messen und auspowern Spass machen kann wenn dies regelgeleitet und nach Normen geschieht Diese Spiele werden meist in der Turnhalle auf Matten durchgefuhrt RollenubungenSie nehmen einen breiten Raum ein und sollen von den Teilnehmern aktiv betrieben werden Dabei ubernimmt einer der Teilnehmer die Tater der andere die Opferrolle Beide sollen ihre Befindlichkeiten reflektieren Durch den Tausch der Rolle wird beiden verdeutlicht dass Tater und Opferrolle zwei Seiten derselben Problematik sind Die Wahrnehmung fur den jeweils anderen wird sensibilisiert Sowohl Tater als auch Opfer konnen den Verlauf der Situation beeinflussen Die Frustrationstoleranz kann erhoht werden Bei Rollenspielen treten oft leichtere aber auch ernstere Konfrontationen auf Heisser StuhlHierbei handelt es sich um eine Konfrontationstechnik bei der sich Teilnehmer inhaltlich und emotional mit ihrem Verhalten auseinandersetzen mussen Sie sitzen hier auf einem heissen Stuhl vor oder in der Mitte der Gruppe und stellen sich der Diskussion und dem verbalen Kreuzfeuer Dieser Methode liegt die Theorie zugrunde dass die Fahigkeit des Menschen zur Aufnahme von Informationen auf ca sieben bis neun Informationen gleichzeitig beschrankt ist Alles daruber Hinausgehende fuhrt zu einem Abreissen bestehender Kommunikations bzw Rhetorik Konzepte des Klienten und ermoglicht somit eine Kommunikation jenseits von Schutzmechanismen im Tat Kontext Die Gesprache sollen in Einzelheiten gehen und konfrontativ verlaufen Nach Ablauf des Gesprachs wird ein positives Ende ohne akute offene Fragen hergestellt da diese sonst mit aus dem Gesprach getragen werden Ubungen zur OpferperspektiveDie Teilnehmer mussen sich intensiv mit den Empfindungen von Opfern auseinandersetzen Dazu konnen auch Erste Hilfe Kurse Vortrage von Arzten oder der Opferbrief herangezogen werden EntspannungsubungenDiese dienen der Verbesserung der Korperwahrnehmung und konnen Elemente des autogenen Trainings oder der progressiven Muskelrelaxation enthalten Kritik BearbeitenVorwurf des Verstosses gegen die Wurde des MenschenRzepka 2005 kritisiert dass mit dem Anti Aggressivitats Trainings die Teilnehmer nicht nur dazu bewegt werden sollen in Zukunft nicht mehr gegen Gesetze zu verstossen sondern dass vielmehr eine Veranderung ihrer Personlichkeit angestrebt wird So wird z B von Heilemann 2001 einem Befurworter des Anti Aggressivitats Trainings davon gesprochen dass eine Person mittels des Trainings konsensfahiger sozialvertraglicher oder sogar sozial nutzlich 4 gemacht werden soll Die staatliche Gewaltausubung durfe jedoch nicht darauf gerichtet sein die Identitat des Einzelnen im Wege der Anderung von Uberzeugungen und Einstellungen zu brechen Dies kollidiere mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes nach dem die Wurde des Menschen unantastbar ist Dazu gehort u a die Wahrung menschlicher Identitat die auch im Strafvollzug nicht gebrochen werden durfe Rzepka kritisiert dass dies in den Programmen des Anti Aggressivitats Trainings nicht beachtet sondern im Gegensatz dazu gehandelt wurde 5 Nach Einschatzung Plewigs 2010 verstosst das Anti Aggressivitats Training gegen das in 1631 II BGB Satz 1 formulierte Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung und das in Satz 2 ausgefuhrte Verbot von korperlicher Bestrafung seelischen Verletzungen und entwurdigenden Massnahmen Insbesondere das aus dem Psychotherapie Kontext entlehnte Trainingsmittel Heisser Stuhl das damit verbundene Vorgefuhrtwerden innerhalb der Gruppe und die grenzwertige Kommunikation der Trainer werden von ihm als entwurdigende Massnahmen im Sinne des 1631 II BGB gewertet 6 Literatur BearbeitenR Kilb J Weidner O Jehn Gewalt im Griff Band 3 Beltz Weinheim Basel 2003 ISBN 3 407 55875 9 R Kilb J Weidner Einfuhrung in die Konfrontative Padagogik UTB Munchen Basel 2013 ISBN 978 3 8252 3868 1 H J Plewig Konfrontative Padagogik In B Dollinger H Schmidt Semisch Hrsg Handbuch Jugendkriminalitat Kriminologie und Sozialpadagogik im Dialog VS Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2010 ISBN 978 3 531 16067 2 S 427 439 D Rzepka Anti Aggressivitats Training Anmerkungen aus verfassungsrechtlicher und kriminologischer Sicht In Behindertenpadagogik 44 Jg Heft 4 2005 S 373 J Weidner Anti Aggressivitats Training fur Gewalttater 3 Auflage Forum Bonn Bad Godesberg 1995 ISBN 3 927066 88 5 J Weidner R Kilb D Kreft Gewalt im Griff Band 1 5 Auflage Beltz Weinheim Basel 2009 ISBN 978 3 7799 2044 1 Weblink BearbeitenLiteratur von und uber Anti Aggressivitats Training im Katalog der Deutschen NationalbibliothekEinzelnachweise Bearbeiten Quantitative und qualitative Evaluation Anti Aggressivitats und Coolness Trainings AAT CT zum Abbau der Gewaltbereitschaft Die Glen Mills Schools Pennsylvania USA Ein Modell zwischen Schule Kinder und Jugendhilfe und Justiz Eine Expertise Memento vom 12 August 2011 im Internet Archive bei dem Deutschen Jugendinstitut DJI darin Bibliographie auf S 215 Manfred Gunther zu Glen Mills 1981 abgerufen am 1 Juli 2010 PDF 1 1 MB Jorg Michael Wolters Kampfkunst als Therapie Peter Lang Frankfurt am Main Bern New York Paris 1992 ISBN 3 631 44802 3 M Heilemann Opferorientierter Strafvollzug Uber ein neues Professionalisierungsverstandnis im Umgang mit Gewalt In J Weidner R Kilb D Kreft Hrsg Gewalt im Griff Band 1 Neue Formen des Anti Aggressivitats Trainings Weinheim Basel 2001 S 57 D Rzepka Anti Aggressivitats Training Anmerkungen aus verfassungsrechtlicher und kriminologischer Sicht In Behindertenpadagogik 44 Jg Heft 4 2005 S 377 ff H J Plewig Konfrontative Padagogik In B Dollinger H Schmidt Semisch Hrsg Handbuch Jugendkriminalitat Kriminologie und Sozialpadagogik im Dialog VS Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2010 S 437 Normdaten Sachbegriff GND 4597475 5 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Anti Aggressivitats Training amp oldid 239132421