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Standardtheorie oder praziser Standardtheorie der agyptischen Syntax ist ein in der Agyptologie verbreiteter Begriff fur einen Kreis von Vorstellungen uber die Syntax vor allem der klassischen agyptischen Sprache des Mittelagyptischen und daruber hinaus auch fur die anderen Sprachstufen des Agyptischen Die Standardtheorie Frage hat seit den 1970er Jahren die agyptologische Grammatikdiskussion weitgehend dominiert Den Begriff Standardtheorie fur diese Vorstellungen verwendete erstmals Leo Depuydt 1 Das so bezeichnete Theoriegebilde fuhrt bei weniger linguistisch orientierten Agyptologen vielfach zu Unbehagen oder kann fur Studenten gar ein Angstthema darstellen Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Entwicklung 3 Kritik 4 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenDie agyptische Sprache besitzt nur wenige offensichtliche Mittel zur Kennzeichnung von Nebensatzen wie etwa unterordnende Konjunktionen Daher glaubte man fruher agyptische Texte bestunden weitgehend nur aus einer Aneinanderreihung einfachster Elementarsatze fur deren logische Beziehungen untereinander die Sprache keine Ausdrucksmittel ausgebildet hatte Dies entsprach den Vorstellungen die man sich damals generell von archaischen und oder aussereuropaischen Sprachen machte Gleichzeitig musste man akzeptieren dass gewisse Erscheinungen der Verbalmorphologie unerklart blieben So beobachtete man etwa neben einem Prasens Perfekt Futur etc noch etwas seltenere Tempora die man in den jungeren Sprachstufen als Prasens 2 Perfekt 2 Futur 2 etc bezeichnete sog Zweite Tempora und deren Funktion man nicht verstand bzw als emphatisch u a Adolf Erman oder wesentlich gravierender imperfektisch v a Alan Gardiner missverstand Entwicklung BearbeitenEine Neubewertung der agyptischen Syntax ging von Hans Jacob Polotsky aus Zunachst fiel ihm in Texten jungerer Sprachstufen des Agyptischen auf 2 dass die Zweiten Tempora dann obligatorisch gebraucht werden wenn der Satz eine Adverbialphrase enthalt die nach moderner Terminologie fokussiert ist zum Beispiel aus einem Frageelement besteht also in Satzen wie j jrj k gmj st mj jh du finden es 2 Tempus wie wie hast du es gefunden Aus dieser Beobachtung entwickelte er in der Folge die These dass die Zweiten Tempora eigentlich als relativische Formen zu analysieren sind im gegebenen Beispiel also dass du es gefunden hast ist wie Dadurch ware also eine Entsprechung zu unseren Nebensatzen gegeben auch ohne dass im agyptischen Text eine Konjunktion vorhanden ware Diese Beobachtung baute Polotsky immer weiter zu dem aus was wir heute als Standardtheorie bezeichnen einschlagig etwa seine Egyptian Tenses 3 Zum einen erweiterte er die Annahme Zweiter Tempora auf die altere klassische Agyptische Sprache wo morphologische Markierungen fur diese in der Schrift viel seltener zu erkennen sind Zum anderen dehnte er seine Analyse auch auf die zahlreichen Falle aus in denen nach einem Zweiten Tempus keine offensichtliche Adverbiale zu finden ist Er schloss hier dass stattdessen der gesamte folgende Satz implizit adverbialisiert sein muss und durch das vorangehende Zweite Tempus fokussiert wird somit also eine grammatische Satzverknupfung hergestellt wird Eines seiner Beispiele ist etwa der folgende Beleg aus dem Totenbuch sdd tw r pn wdn n f der sinngemass bedeuten muss man soll diesen Spruch rezitieren nachdem man das und das geopfert hat wo nach alterer Lehre aber wortlich einfach zu ubersetzen gewesen ware man soll diesen Spruch rezitieren man hat geopfert Da das erste Verb ein Zweites Tempus ist liegt nach Polotskys Analyse eine Satzverknupfung der Art dass man diesen Spruch rezitieren soll ist nachdem man geopfert hat vor Den Hohepunkt erreichte die Standardtheorie mit der Habilitationsschrift von Friedrich Junge 4 Er radikalisierte Polotskys Ansatz in der Weise dass durch Zweite Tempora hergestellte Satzverknupfungen im Agyptischen nicht nur moglich seien sondern sogar den Normalfall darstellten dass also jede Verbalform entweder nominalisiert sein musse Zweites Tempus oder adverbialisiert sonst Einfache Verbalsatze sind laut Junge im Agyptischen uberhaupt nicht moglich ein scheinbares Verb wie sḏm n f traditionell er horte ist allein nicht satzbildend sondern ist entweder als dass er horte oder als indem er horte zu analysieren Gerade in der klassischen Mittelagyptischen Sprache sind allerdings morphologische bzw graphische Anhaltspunkte fur die Unterscheidung von nominalisierten und adverbialisierten Verbalformen rar so dass die syntaktische Analyse weitgehend aus dem Kontext gewonnen werden muss Junges Ansatz ermoglichte eine elegante Erklarung der sehr haufigen aber bis dahin nicht zufriedenstellend verstandenen Partikel jw Nach Junge ist jw eine semantisch leere Dummy Nominalphrase etwa dass es der Fall ist die dann gebraucht wird wenn inhaltlich ein Satz mit nur einer einzigen Verbalaussage geaussert werden soll Er horte heisst auf Agyptisch also jw sḏm n f ganz wortlich dass es der Fall ist ist indem er horte Spater haben mehrere Forscher die Standardtheorie Junge scher Pragung im Kern ubernommen aber teilweise reformuliert W Schenkel stellt die agyptische Syntax so dar 5 dass Satze zwar einen verbalen Kern haben das adverbialisierte Verb der Standardtheorie aber obligatorisch eine vordere Erweiterung aufweisen zum Beispiel jw oder ein nominalisiertes Verb der Standardtheorie Frank Kammerzell bezeichnet das Agyptische als hauptsatzmarkierend 6 was besagt dass Elementarsatze fur sich Nebensatze seien und erst durch eine zusatzliche Markierung zu Hauptsatzen werden Im Gegensatz dazu sind die europaischen Sprachen grundsatzlich nebensatzmarkierend weil Elementarsatze zunachst immer Hauptsatze sind und erst durch eine Erweiterung zum Beispiel Konjunktion zu Nebensatzen werden Kritik BearbeitenWahrend die Standardtheorie in den 1980er Jahren von den allermeisten Agyptologen die sich uberhaupt zum Thema ausserten akzeptiert wurde setzten ab 1990 auch kritische Stimmen ein Diese versuchten Gegenbelege zu finden oder wiesen etwa darauf hin dass Sprachen ohne Verbalsatze sonst weltweit nirgends nachgewiesen seien oder dass das Agyptische sich so nicht mit linguistischen Vorstellungen etwa der generativen Grammatik vereinbaren liesse 7 In einigen neueren Arbeiten werden daher neben Satzmustern die der Standardtheorie entsprechen einfache Verbalsatze wieder zusatzlich akzeptiert 8 Manche Forscher gehen so weit sogar Polotskys Ausgangsbeobachtung dass die Zweiten Tempora der Adverbfokussierung dienen konnen wieder in Frage zu stellen 9 Die Diskussion ist noch in vollem Gange und zu einer geschlossenen Darstellung eines Syntaxmodells nach der Standardtheorie ist es bisher nicht gekommen Einzelnachweise Bearbeiten Leo Depuydt The standard theory of the emphatic forms in Classical Middle Egyptian A historical survey in Orientalia Lovaniensia Periodica 14 1983 13 54 Hans Jacob Polotsky Une regle concernant l emploi des formes verbales dans la phrase interrogative en neo egyptien in Annales du Service des Antiquites de l Egypte 40 1940 pp 241 245 Hans Jakob Polotsky Egyptian Tenses The Israel Academy of Sciences and Humanities Vol II No 5 1965 Collected Papers pp 71 96 Friedrich Junge Syntax der mittelagyptischen Literatursprache Grundlagen einer Strukturtheorie Mainz 1978 Wolfgang Schenkel Tubinger Einfuhrung in die klassisch agyptische Sprache und Schrift Tubingen 2005 Frank Kammerzell Professor an der HU Berlin mundlich zum Beispiel Mark Collier The circumstantial sdm f sdm n f as verbal verb forms in Middle Egyptian in Journal of Egyptian Archaeology 76 1990 pp 73 85 Antonio Loprieno Ancient Egyptian A Linguistic Introduction Cambridge 1995 Thomas Ritter Das Verbalsystem der koniglichen und privaten Inschriften XVIII Dynastie bis einschliesslich Amenophis III Wiesbaden 1995 Sami Uljas On interclausal relations in Middle Egyptian in Susanne Bickel amp Antonio Loprieno Hrsgg Basel Egyptology Price 1 Basel 2003 pp 387 403 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Standardtheorie der agyptischen Syntax amp oldid 157720239