Als Sherlockian Reading bezeichnet man eine spezielle Lektüre-Praxis der Geschichten um Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle, die in erster Linie zur intellektuellen Unterhaltung dient und von der Voraussetzung ausgeht, dass es sich bei den Aufzeichnungen des Dr. Watson um von ihm selbst verfasste Tatsachenberichte handelt.
Allgemeines Bearbeiten
Den Anfang des Sherlockian Reading markiert eine 1911 im Gryphon Club in Oxford gehaltene satirische Rede von Ronald Knox, die später in seinen Essays in Satire (1928) unter dem Titel „Studies in the Literature of Sherlock Holmes“ erschienen ist. Sie fand ihre Fortsetzung durch Christopher Morley, der auch Regeln für die Lektüre aufstellte. Die erste Morleysche Regel legt die Lektüren auf ihren Unterhaltungswert fest. Die zweite Regel betrifft die Faktualität sämtlicher Sherlock Holmes Geschichten. Die dritte Regel betrifft den Status von Sir Arthur Conan Doyle. Dieser wird entweder stillschweigend übergangen oder aber als Herausgeber bzw. literarischer Agent Dr. Watsons betrachtet. Morleys Regeln finden ihre Anwendung vor allem in den Publikationen der Sherlock-Holmes-Gesellschaften. Auf ihrer Basis sind Textausgaben, Kommentare, Biographien (William S. Baring-Gould), Enzyklopädien, Atlanten und andere Hilfsmittel erstellt worden. Durch die Negation des fiktionalen Charakters sowie die Leugnung einer Autorschaft Conan Doyles unterscheidet sich das Sherlockian Reading von einer literaturwissenschaftlichen Interpretation, was jedoch nicht bedeutet, dass seine teilweise gründlichen Textanalysen jedes Erkenntniswertes entbehren.
Ronald Knox Bearbeiten
In seinen satirisch gemeinten „Studies in the Literature of Sherlock Holmes“ gibt Ronald Knox eine Reihe von Problemstellungen vor, an denen sich spätere (sherlockianische) Lektüren orientieren sollten. Die wichtigsten sind folgende:
- Die Anwendung von Holmes’ eigener Methode bei der Analyse und Interpretation seiner Geschichten.
- Hinweise auf den Nutzen der Geschichten für die Kriminologie.
- Vergleiche von Sherlock-Holmes-Geschichten mit kanonischen Werken der antiken Literatur (platonische Dialoge, antike Tragödie, antike Historiographie), der Bibel sowie mit der Kriminalliteratur von Edgar Allan Poe, Émile Gaboriau, Wilkie Collins und Chesterton.
- Die besondere Rolle des Erzählers Dr. Watson für die Erforschung der Holmes-Geschichten: „Any studies in Sherlock Holmes must be, first and foremost, studies in Dr. Watson.“
- Die Frage nach der Authentizität (Echtheit) der Geschichten und die Diskussion ihrer Widersprüche:
- Knox liefert zudem erste Überlegungen zur Chronologie und zum Datierungsproblem der Holmes-Geschichten. Sein Ergebnis ist (s. zur Verwendung der Abkürzungen den Artikel Sherlock Holmes):
- Er unternimmt eine erste Strukturanalyse der Geschichten:
- Er diskutiert das Verhältnis des Detektivs zu Scotland Yard; Vergleich der Kriminalbeamten mit den Platonischen Sophisten.
- Er erläutert das Verhältnis von Holmes zu Dr. Watson; Vergleich von Dr. Watson mit dem antiken Chor.
- Er behandelt Probleme von Sherlock Holmes’ fiktiver Biographie, seinem intellektuellen wie sozialen Selbstverständnis (z. B. sein Geschmack für theatralische Arrangements und Epigramme) sowie seiner Figurencharakterisierung (z. B. die Pfeife).
- Schließlich finden sich Überlegungen zu Holmes’ Methode: Sie sei weder reine Deduktion noch reine Induktion. Holmes verwechsele gelegentlich Beobachtung (Observation) mit Schlussfolgerung (Inference), unterscheide jedoch genau zwischen Beobachtung a posteriori und Deduktion a priori.
Weblinks Bearbeiten
- Ronald A. Knox: Studies in the Literatur of Sherlock Holmes
- (Memento vom 23. September 2005 im Internet Archive)
- (Memento vom 22. Oktober 2011 im Internet Archive)