www.wikidata.de-de.nina.az
Die Rekognitionsheuristik englisch recognition heuristic auch Wiedererkennungsheuristik genannt ist eine Urteilsheuristik der Kognitionspsychologie Sie besagt dass bei der Beurteilung von mehreren Objekten hinsichtlich eines Kriteriums unter bestimmten Umstanden deren Wiedererkennung Rekognition von lateinisch recognitio 1 als alleinige Entscheidungshilfe genutzt wird Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Erlauterung 2 1 Okologische Rationalitat 2 2 Ignoranz basiertes Entscheiden 2 3 Randbedingungen fur die Anwendung 2 4 Less Is More Effekt 3 Zentrale Befunde 4 Kritik 4 1 Non kompensatorische Verwendung der Rekognitionsinformation 4 2 Binare Natur der Rekognitionsinformation 4 3 Die Rekognitionsheuristik als Prozessmodell 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 FussnotenHintergrund BearbeitenNach Herbert A Simons Konzept der begrenzten Rationalitat sind die kognitiven Fahigkeiten des Menschen eingeschrankt 2 Aus diesem Grund ist fur viele komplexe Probleme der optimale normative Losungsweg mit zu grosser Anstrengung verbunden Zur Losung dieser Probleme greifen Menschen deswegen auf Heuristiken oder Faustregeln zuruck vereinfachende Entscheidungsstrategien um zu einer moglichst guten Losung zu gelangen welche aber nicht zwangslaufig optimal sein muss satisficing 3 Die Idee dass Menschen zur Losung von Problemen vereinfachende Heuristiken nutzen wurde im Folgenden von vielen Forschern aufgegriffen die in unterschiedlichen Bereichen Heuristiken vorschlugen Die Rekognitionsheuristik wurde im Rahmen eines Forschungsprogramms von Gerd Gigerenzer Daniel G Goldstein und Kollegen vorgeschlagen welches den Schwerpunkt auf schnelle und einfache Heuristiken legt und die Bedingungen unter denen diese erfolgreich sein konnen 4 Dabei wird angenommen dass Menschen uber eine Sammlung von Entscheidungsstrategien verfugen eine sog adaptive toolbox 5 aus der sie je nach Situation und Aufgabe die passende Strategie auswahlen Ursprunglich war die Rekognitionsheuristik als erster Teil der Take the best Heuristik implementiert worden 6 Schliesslich wurde sie jedoch als allein stehendes Modell postuliert 7 Zunachst war sie auf den Vergleich von zwei Objekten beschrankt wurde jedoch spater erweitert 8 Erlauterung BearbeitenDie Rekognitionsheuristik ist eine Entscheidungsstrategie fur vergleichende Urteile Sollen zwei Objekte hinsichtlich eines bestimmten Kriteriums beurteilt werden besagt sie Folgendes 7 If one of two objects is recognized and the other is not then infer that the recognized object has the higher value with respect to the criterion Wenn von zwei Objekten das eine erkannt wird und das andere nicht schliesse daraus dass das erkannte Objekt den hoheren Wert auf dem Kriterium hat Ein typisches und oft untersuchtes Paradigma ist die Aufgabe zu beurteilen welche von zwei Stadten mehr Einwohner hat wie zum Beispiel San Diego oder San Antonio Kennt eine Person nur eine der beiden Stadte so sollte sie diese bei Anwendung der Rekognitionsheuristik als grosser beurteilen Wenn einer Person beide Stadte bekannt oder beide unbekannt sind lasst sich die Rekognitionsheuristik nicht anwenden Okologische Rationalitat Bearbeiten Der Rekognitionsheuristik liegt die Annahme zugrunde dass in bestimmten Umwelten das Erkennen bzw Nicht Erkennen eines Objekts systematisch mit dem zu beurteilenden Kriterium zusammenhangt beispielsweise weil Stadte mit mehr Einwohnern haufiger in den Medien erwahnt und daher eher erkannt werden Das Erkennen bzw Nicht Erkennen einer Stadt ware somit ein valider Hinweis auf ihre Einwohnerzahl Die Starke dieses Zusammenhangs wird Rekognitionsvaliditat genannt Es zeigt sich dass Rekognition in vielen Umwelten ein valider Hinweis ist 7 9 Weil die Rekognitionsheuristik den naturlichen Zusammenhang zwischen Wiedererkennen und Kriterium ausnutzt wird sie als okologisch rational bezeichnet 7 Ignoranz basiertes Entscheiden Bearbeiten Eine weitere zentrale Annahme von Gigerenzer Goldstein und Kollegen ist dass es sich bei der Rekognitionsheuristik um eine non kompensatorische Strategie handelt Das Erkennen bzw Nicht Erkennen eines Objekts wird als alleinige Information benutzt Die Entscheidung basiert folglich ausschliesslich auf dieser Rekognitionsinformation und alle weiteren Informationen werden ignoriert 10 Randbedingungen fur die Anwendung Bearbeiten Mehrere Randbedingungen werden fur die Verwendung der Rekognitionsheuristik aufgestellt 6 7 Die Anwendung der Rekognitionsheuristik setzt voraus dass einige Objekte nicht erkannt werden Erst dadurch kann es zum Vergleich von erkannten und unerkannten Objekten kommen Die Rekognitionsheuristik sollte nur verwendet werden wenn die Wiedererkennung eines Objekts tatsachlich mit dem zu beurteilenden Kriterium in Zusammenhang steht sie also eine valide Information bietet Konkret sollte Wiedererkennen nur dann die Entscheidung beeinflussen wenn diese dadurch besser wird als durch Raten Die Person fallt ihr Urteil auf Basis ihres Gedachtnisses Weitere Informationen werden ihr nicht zur Verfugung gestellt Das Wiedererkennen eines Objekts sollte auf die naturliche Umgebung einer Person zuruckzufuhren sein und nicht auf eine experimentelle Manipulation Less Is More Effekt Bearbeiten Eine Implikation der Rekognitionsheuristik ist dass unter bestimmten Umstanden weniger Wissen im Sinne von weniger erkannten Objekten zu besseren Ergebnissen fuhren kann 7 In einer Umwelt in der Rekognition stark mit dem Kriterium zusammenhangt haben Personen die fast alle Objekte erkennen einen Nachteil da sie die Rekognitionsheuristik nur selten anwenden konnen Demgegenuber hatten Personen die nur einige Objekte erkennen einen Vorteil Zentrale Befunde BearbeitenIn den klassischen Experimenten zur Rekognitionsheuristik haben Personen die Aufgabe fur eine Reihe von Stadtepaaren jeweils Urteile abzugeben welche Stadt grosser ist Zusatzlich wird erfasst welche Stadt der Person bekannt ist und welche nicht Bei der Auswertung dieser Experimente werden die Stadtepaare zunachst danach eingeteilt in welchen Fallen eine Person die Rekognitionsheuristik hatte anwenden konnen alle Falle in denen sie nur eine der beiden Stadte erkannte Schliesslich wird betrachtet in wie vielen von diesen Fallen sie auch tatsachlich die bekannte Stadt gewahlt hat In einer Studie berichten Goldstein und Gigerenzer hierbei Werte von im Mittel 90 7 Ein auch popularwissenschaftlich bekannter Befund zur Rekognitionsheuristik ist die Demonstration des Less Is More Effekts bei Personen unterschiedlicher Nationalitat 11 Deutsche und US Amerikaner sollten ein Urteil daruber abgeben welche von zwei US amerikanischen Stadten grosser ist San Diego oder San Antonio Von den amerikanischen Teilnehmern denen meist beide Stadte bekannt waren gaben etwa 62 die richtige Antwort nach der damaligen Einwohnerzahl San Diego wohingegen es bei den deutschen Teilnehmern von denen die meisten nur San Diego erkannten 100 waren Dieser Befund blieb jedoch nicht ohne Kritik u a deswegen weil die Rekognitionsvaliditat fur Deutsche und Amerikaner nicht die gleiche war 12 In mehreren Experimenten konnte gezeigt werden dass Personen in der Lage sind zu unterscheiden ob die Verwendung der Rekognitionsheuristik in einer Situation angemessen ist oder nicht 13 9 War beispielsweise die Aufgabe anzugeben welche von zwei Stadten grosser ist stimmten die Urteile der Personen dabei haufig mit den Vorhersagen der Rekognitionsheuristik uberein Bei der Aufgabe anzugeben wie weit eine Stadt von einem bestimmten Punkt entfernt ist war dies nicht der Fall 9 Kritik BearbeitenUm den Status der Rekognitionsheuristik hat sich eine hitzige Debatte entwickelt 14 15 Eine Reihe von Befunden widerlegt mehrere Annahmen der Rekognitionsheuristik Diese werden im Folgenden betrachtet Non kompensatorische Verwendung der Rekognitionsinformation Bearbeiten Die ursprungliche Fassung der Rekognitionsheuristik nimmt an dass Rekognition als einziges Merkmal bei der Urteilsbildung verwendet wird 7 Mehrere Befunde stellen diese alleinige non kompensatorische Verwendung der Rekognitionsinformation infrage Personen scheinen auch andere Information in ihr Urteil einzubeziehen wenn diese zusatzlich Aufschluss uber die beurteilte Grosse gibt etwa ob die Stadt die beurteilt wird eine Fussballmannschaft besitzt 16 Zudem wahlen Personen das wiedererkannte Objekt seltener wenn es tatsachlich die falsche Wahl ware Dies spricht ebenfalls dafur dass Rekognition nicht als alleinige Information benutzt wird 9 Binare Natur der Rekognitionsinformation Bearbeiten Die Rekognitionsheuristik impliziert dass Rekognition eine binare Information darstellt dass ein Objekt also entweder erkannt wird oder nicht 7 Es zeigt sich jedoch dass auch die Schnelligkeit des Erkennens eine Rolle spielt Je schneller ein bekanntes Objekt als bekannt beurteilt wird desto haufiger wird es gegenuber einem unbekannten Objekt als grosser eingeschatzt 16 Die Verarbeitungsflussigkeit scheint den Urteilsprozess demnach zusatzlich zu beeinflussen Die Rekognitionsheuristik als Prozessmodell Bearbeiten Viele Studien zur Rekognitionsheuristik nutzen als Mass fur deren Verwendung die Ubereinstimmung zwischen den Vorhersagen der Rekognitionsheuristik und tatsachlich beobachteten Urteilen Diese Ubereinstimmung ist in vielen Fallen sehr hoch was als Beleg fur die alleinige Verwendung der Rekognitionsheuristik interpretiert wird 7 8 Die Ubereinstimmung zwischen diesen Vorhersagen und den Beobachtungen bedeutet jedoch nicht zwingend dass der angenommene Prozess den Entscheidungen zugrunde lag Wenn alternative Strategien etwa die Nutzung weiteren Wissens die gleichen Vorhersagen treffen wie die Rekognitionsheuristik erlaubt dieses Mass keine klare Aussage uber die tatsachlich verwendete Strategie Wird das Mass in diesem Fall trotzdem verwendet wird das Ausmass der Verwendung der Rekognitionsheuristik uberschatzt 17 Unverzerrte Masse zeigen aber dennoch dass Rekognition bei einem wesentlichen Anteil der Entscheidungen als alleiniger Hinweis verwendet wird 18 Allgemein ergibt sich auch fur ganzlich fiktive Heuristiken eine recht hohe Ubereinstimmung zwischen den vorhergesagten und beobachteten Urteilen sofern diese Information verwenden die okologisch rational sind also tatsachlich mit der Urteilsdimension zusammenhangen 19 Zusammenfassend lasst sich also aus der hohen Vorhersageleistung der Rekognitionsheuristik als theoretisches Modell nicht ableiten dass Wiedererkennen als alleiniger Hinweis bei der Entscheidungsfindung herangezogen wird Verfechter der Rekognitionsheuristik argumentieren dagegen dass deren Kritiker kaum eigene Modelle vorgeschlagen haben 20 In jungster Zeit wurden jedoch alternative Modelle entwickelt 21 Siehe auch BearbeitenBegrenzte Rationalitat Urteilsheuristik VerfugbarkeitsheuristikLiteratur BearbeitenArndt Broder Entscheiden mit der adaptiven Werkzeugkiste Ein empirisches Forschungsprogramm Pabst Science Publishers Lengerich u a 2005 ISBN 3 89967 244 5 Gerd Gigerenzer Peter M Todd amp the ABC Research Group Simple heuristics that make us smart Oxford University Press New York 1999 ISBN 0 19 514381 7 Thomas Lange Halbwissen als Erfolgsrezept In Bild der Wissenschaft 10 2006 S 74 Julian N Marewski Rudiger F Pohl Oliver Vitouch Hrsg Judgment and Decision Making Special issue Recognition processes in inferential decision making Vol 5 No 4 2010 Julian N Marewski Rudiger F Pohl Oliver Vitouch Hrsg Judgment and Decision Making Special issue Recognition processes in inferential decision making II Vol 6 No 1 2011 Julian N Marewski Rudiger F Pohl Oliver Vitouch Hrsg Judgment and Decision Making Special issue Recognition processes in inferential decision making III Vol 6 No 5 2011Weblinks BearbeitenAdaptives Verhalten und Kognition ABC Website der Forschergruppe von Gerd Gigerenzer und Kollegen am Max Planck Institut fur Bildungsforschung Prasentation eines Experiments zur Rekognitionsheuristik MS PowerPoint 53 kB Fussnoten Bearbeiten Georges 1913 Herbert A Simon Rational choice and the structure of the environment In Psychological Review 63 2 1956 doi 10 1037 h0042769 S 129 138 Herbert A Simon Invariants of human behavior In Annual Review of Psychology Vol 41 1990 doi 10 1146 annurev ps 41 020190 000245 S 1 19 Gerd Gigerenzer Peter M Todd amp the ABC Research Group Simple heuristics that make us smart Oxford University Press New York 1999 Gerd Gigerenzer amp Reinhard Selten Hrsg Bounded rationality The adaptive toolbox The MIT Press Cambridge 2001 a b Gerd Gigerenzer Daniel G Goldstein Reasoning the fast and frugal way Models of bounded rationality In Psychological Review 103 4 1996 doi 10 1037 0033 295X 103 4 650 S 650 669 PDF 2 317 MB a b c d e f g h i j Daniel G Goldstein Gerd Gigerenzer Models of ecological rationality The recognition heuristic In Psychological Review 109 1 doi 10 1037 0033 295X 109 1 75 S 75 90 PDF 411 kB a b Julian N Marewski Wolfgang Gaissmaier Lael J Schooler Daniel G Goldstein Gerd Gigerenzer From recognition to decisions Extending and testing recognition based models for multi alternative inference In Psychonomic Bulletin and Review 17 3 2010 doi 10 3758 PBR 17 3 287 S 287 309 PDF 588 kB a b c d Rudiger F Pohl Empirical tests of the recognition heuristic In Journal of Behavioral Decision Making 19 3 2006 doi 10 1002 bdm 522 S 251 271 Daniel G Goldstein Gerd Gigerenzer The recognition heuristic How ignorance makes us smart In Gerd Gigerenzer Peter M Todd amp the ABC Research Group Simple heuristics that make us smart Oxford University Press New York 1999 S 37 58 Thomas Lange Halbwissen als Erfolgsrezept In Bild der Wissenschaft 10 2006 S 74 Michael R Dougherty Ana M Franco Watkins Rick Thomas Psychological plausibility of the theory of probabilistic mental models and the fast and frugal heuristics In Psychological Review 115 1 2008 S 199 213 PDF 160 kB Ben R Newell David R Shanks On the role of recognition in decision making In Journal of Experimental Psychology Learning Memory and Cognition 30 4 2004 doi 10 1037 0278 7393 30 4 923 S 923 935 PDF 222 kB Julian N Marewski Rudiger F Pohl Oliver Vitouch Recognition based judgments and decisions Introduction to the special issue Vol 1 In Judgment and Decision Making Vol 5 No 4 S 207 215 PDF 120 kB Julian N Marewski Rudiger F Pohl Oliver Vitouch Recognition based judgments and decisions What we have learned so far In Judgment and Decision Making Vol 6 No 5 S 359 380 PDF 552 kB a b Ben R Newell Duane Fernandez On the binary quality of recognition and the inconsequentiality of further knowledge Two critical tests of the recognition heuristic In Journal of Behavioral Decision Making 19 4 2006 doi 10 1002 bdm 531 S 333 346 PDF 121 kB Benjamin E Hilbig Precise models deserve precise measures A methodological dissection In Judgment and Decision Making Vol 5 No 4 2010 S 272 284 PDF 193 kB Benjamin E Hilbig Edgar Erdfelder Rudiger F Pohl One reason decision making unveiled A measurement model of the recognition heuristic In Journal of Experimental Psychology Learning Memory and Cognition 36 1 2010 doi 10 1037 a0017518 S 123 134 Benjamin E Hilbig Reconsidering evidence for fast and frugal heuristics In Psychonomic Bulletin amp Review Vol 17 Issue 6 2010 doi 10 3758 PBR 17 6 923 S 923 930 Gerd Gigerenzer Daniel G Goldstein The recognition heuristic A decade of research In Judgment and Decision Making Vol 6 No 1 2011 S 100 121 PDF 217 kB Andreas Glockner Arndt Broder Processing of recognition information and additional cues A model based analysis of choice confidence and response time In Judgment and Decision Making Vol 6 No 1 2011 S 23 42 PDF 344 kB Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rekognitionsheuristik amp oldid 226243967