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Der Pygmalion Effekt ist ein psychologisches Phanomen bei dem eine vorweggenommene Einschatzung eines Schulers sich derart auf seine Leistungen auswirkt dass sie sich bestatigt Es geht auf ein Experiment von Robert Rosenthal und Lenore F Jacobson zuruck Der Name entstammt der mythologischen Figur Pygmalion Rosenthal und Jacobson wiesen experimentell nach dass ein Lehrer dem suggeriert wird einige Schuler seien besonders begabt diese unbewusst so fordert dass sie am Ende auch tatsachlich ihre Leistungen steigern Inhaltsverzeichnis 1 Das klassische Experiment von Rosenthal und Jacobson 2 Kritik am klassischen Experiment 3 Vorlaufer des Experiments 4 Ahnliche Experimente 5 Abgrenzung zu ahnlichen Effekten 6 Siehe auch 7 Literatur 8 EinzelnachweiseDas klassische Experiment von Rosenthal und Jacobson Bearbeiten1965 untersuchten die US amerikanischen Psychologen Robert Rosenthal und Lenore F Jacobson in einem Feldexperiment die Lehrer Schuler Interaktionen an einer Grundschule Die Schule war dreizugig Es gab einen schnellen einen mittleren und einen langsamen Zug Dies ist bei offentlichen Grundschulen in den USA nicht selten 1 Den Lehrern wurde vorgetauscht dass auf der Basis eines wissenschaftlichen Tests die Leistungspotenziale der Kinder eingeschatzt werden sollten Durch diesen Test wurden so die Schilderung gegenuber den Lehrern die 20 Prozent Schuler einer Schulklasse identifiziert werden die kurz vor einem Entwicklungsschub standen Bei diesen Bloomers Aufbluhern oder Spurters Sprintern sei im folgenden Schuljahr mit besonderen Leistungssteigerungen zu rechnen In Wirklichkeit wurden die 20 Prozent der Schuler jedoch ohne Wissen der Lehrer zufallig per Los ausgewahlt 2 Durch den Test wurde nicht das Leistungspotenzial der Schuler sondern deren IQ gemessen Acht Monate nach dem ersten IQ Test wurde dieser mit allen Schulern der Grundschule wiederholt Die IQ Steigerung war bei den zwanzig Prozent der Schuler deren Leistungssteigerungspotenzial als besonders hoch eingestuft worden war Experimentgruppe deutlich grosser als bei Schulern bei denen kein besonderes Leistungssteigerungspotenzial identifiziert worden war Kontrollgruppe 3 Weil ausser der Information der Lehrer uber das vermeintliche Leistungssteigerungspotenzial alle anderen Bedingungen konstant gehalten wurden kann der einzige Grund fur die faktische Leistungssteigerung der Schuler in den Erwartungen der Lehrer gegenuber diesen Schulern gelegen haben Nach einem Jahr steigerten die Aufbluher ihren IQ viel starker als Kinder aus der Kontrollgruppe Der Effekt war bei Kindern der ersten und zweiten Klasse besonders stark 4 Die grossten IQ Gewinne wiesen die Schuler des mittleren Zuges der Oak School auf 5 Insgesamt konnten 45 Prozent der Aufbluher ihren IQ um 20 oder mehr Punkte steigern und 20 Prozent konnten ihn gar um 30 oder mehr Punkte steigern 6 Die IQ Steigerungen waren bei den Kindern am starksten die ein besonders attraktives Ausseres hatten 7 Auffallig war weiterhin dass der Charakter der so genannten Aufbluher von den Lehrern positiver beurteilt wurde 8 Kritik am klassischen Experiment BearbeitenDer Psychologe Robert L Thorndike kritisierte die Methodik der Studie 9 Die genutzten IQ Tests seien nicht fur jungere Kinder geeignet Gerade in dieser Gruppe wurden allerdings die hochsten IQ Zugewinne gefunden Ausserdem befand sich der durchschnittliche IQ Wert einer Klasse im Bereich logisches Denken original reasoning auf dem Niveau der geistigen Behinderung lt 70 Die beobachtete Verbesserung der Kinder lasse sich allein durch die Regression zur Mitte erklaren Snow 1995 wies darauf hin dass es 5 Schuler mit unglaubwurdig hohen IQ Zugewinnen gab 17 110 18 122 133 202 111 208 und 113 211 Wenn man diese Schuler in den Analysen ausschliesse verschwinde der Pygmalion Effekt 10 Verschiedene Replikationen und Metastudien konnten nicht abschliessend klaren ob die Erwartungen von Lehrern einen IQ Zuwachs bei Schulern bedingen konnen oder nicht 11 Eine Metastudie zeigt dass der Effekt insgesamt schwach ist Der starkste Effekt tritt in den wenigen Experimenten auf die in den ersten zwei Wochen des Schuljahres die Erwartungen der Lehrer manipulieren wenn sie die Schuler also noch nicht gut kennen und einschatzen konnen Selbst diese Experimente zeigen allerdings keinen starken Einfluss der Lehrererwartungen auf den IQ der Schuler 12 Vorlaufer des Experiments BearbeitenDas Experiment zum Pygmalion Effekt wurde inspiriert durch ein Laborexperiment in dem Robert Rosenthal und Kermit L Fode nachwiesen dass die Erwartungen von Versuchsleitern Einfluss auf den Ausgang des Experiments haben Dieser nachgewiesene Effekt wird in der Sozialpsychologie als Rosenthal Effekt bezeichnet Das Pygmalion Experiment sollte zeigen dass solche selbsterfullende Prophezeiungen uber die Methodenkritik in der Wissenschaft hinaus relevant sind Ahnliche Experimente BearbeitenRosenthals Ergebnisse konnten uber viele Jahre und an vielen verschiedenen Schulen repliziert werden 13 Dabei fuhrten etwa 40 Prozent der Wiederholungen des Experiments zu den erwarteten Ergebnissen Wenn die Lehrer die Kinder gut kannten und sich schon eigene Vorurteile gebildet hatten reduzierte sich der Erwartungseffekt 8 Nach Heinz Heckhausen tritt der Pygmalion Effekt nur unter folgenden Bedingungen auf der Schuler ist ein sogenannter Leistungsverweigerer oder Minderleister er leistet derzeit also weniger als ihm seine Fahigkeiten erlauben der Lehrer hat bislang die Fahigkeiten des Schulers unterschatzt der Schuler hat die Einschatzung des Lehrers auch ubernommen also internalisiert In der Psychiatrie fuhrte der Psychologe David Rosenhan zwischen 1968 und 1973 zu Rosenthal vergleichbare Experimente durch Rosenhan Experiment 14 Abgrenzung zu ahnlichen Effekten BearbeitenUnter Pygmalion Effekt nach Shaw versteht man wenn eine Person aus einer unteren Schicht fur ein Mitglied der Oberschicht gehalten und entsprechend behandelt wird Die Bezeichnung geht zuruck auf das Theaterstuck Pygmalion von George Bernard Shaw Sehen Sie wenn man davon absieht was ein jeder sich leicht aneignet sich anziehen richtige Aussprache und so weiter dann besteht der Unterschied zwischen einer Dame und einem Blumenmadchen wahrhaftig nicht in ihrem Benehmen sondern darin wie man sich gegen sie benimmt 15 Der Pygmalion Effekt ist zu unterscheiden von ahnlichen sich selbst erfullenden Prophezeiungen wobei die Unterscheidung empirisch oft nicht sauber moglich ist sofern die Effekte uberhaupt messbar sind Erfolgt die Verhaltensanpassung nicht im Rahmen einer asymmetrischen Beziehung zu einer konkreten mit besonderer Autoritat ausgestatteten Bezugsperson z B Versuchsleiter Vorgesetzter Lehrer Arzt sondern in Reaktion auf allgemeine gesellschaftliche Vorurteile spricht man vom Andorra Effekt Ein Sonderfall des Pygmalion Effekts bei dem die durch die Erwartungen einer Autoritatsperson Vorgesetzter gesteigerte eigene Erwartung einer Person an sich selbst als entscheidender vermittelnder Faktor betrachtet wird wird als Galatea Effekt bezeichnet Bei einer negativen selbsterfullenden Erwartung spricht man auch vom Golem Effekt Neuere Ansatze welche in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus vor allem neuro wissenschaftlicher Untersuchungen rucken fuhren u a die o a Phanomene auf die Wirkung aktiver expliziter oder impliziter Stereotype zuruck 16 17 18 Siehe auch BearbeitenListe der klassischen Experimente in der Psychologie Bedrohung durch StereotypeLiteratur BearbeitenRobert Rosenthal Lenore Jacobson Teachers Expectancies Determinants Of Pupils IQ Gains In Psychological Reports Band 19 1966 S 115 118 Robert Rosenthal Lenore Jacobson Pygmalion in the Classroom Teacher Expectation and Pupils Intellectual Development Holt Rinehart amp Winston New York 1968 deutsch Pygmalion im Unterricht Lehrererwartungen und Intelligenzentwicklung der Schuler ubersetzt von Ingeborg Brinkmann u a Beltz Weinheim 1983 ISBN 3 407 18267 8 Robert Rosenthal Critiquing Pygmalion A 25 year perspective In Current Directions in Psychological Science Band 4 1995 S 171f J Sterling Livingston Motivation Pygmalions Gesetz In Harvard Manager 12 Jahrgang 1990 S 90 99 Paul Watzlawick Hrsg Die erfundene Wirklichkeit Wie wissen wir was wir zu wissen glauben Beitrage uber Konstruktivismus Piper TB 4742 Munchen Zurich 2010 Erstausgabe 1981 ISBN 978 3 492 24742 9 S 97 Kapitel Selbsterfullende Prophezeiungen Einzelnachweise Bearbeiten Rosenthal Jacobson Pygmalion im Unterricht Beltz Weinheim 1971 Rosenthal Pygmalion Seite 216 Rosenthal Pygmalion Seite 118 Rosenthal Pygmalion Seite 217 Rosenthal Pygmalion Seite 218 Elliot Aronson Timothy D Wilson Robin M Akert Sozialpsychologie Pearson Studium Munchen 2008 Abbildung 3 6 S 68 Rosenthal Pygmalion Seite 122 a b Prof Dr E Todt Erziehungspsychologie fur Studierende des Lehramtes Suggestion und Suggestibilitat Universitat Giessen Thorndike R L 1968 Reviewed work Pygmalion in the classroom by Robert Rosenthal and Lenore Jacobson American Educational Research Journal 5 4 708 711 Snow R E 1995 Pygmalion and intelligence Current Directions in PsychologicalScience 4 169 71 Jussim L 2017 Precis of Social Perception and Social Reality Why accuracy dominates bias and self fulfilling prophecy Behavioral and Brain Sciences 40 Available at http labs psychology illinois edu acimpian reprints jussim BBS pdf Raudenbush S W 1984 Magnitude of teacher expectancy effects on pupil IQ as a function of the credibility of expectancy induction A synthesis of findings from 18 experiments Journal of Educational Psychology 76 1 85 97 doi 10 1037 0022 0663 76 1 85 E Aronson T D Wilson R M Akert Sozialpsychologie 4 Auflage Pearson Studium 2004 ISBN 3 8273 7084 1 S 23 Ian Needham Pflegeplanung in der Psychiatrie Recom 3 Auflage 1996 ISBN 978 3 89752 034 9 Seite 73 George Bernard Shaw Pygmalion In Klassische Stucke Ubersetzt von Siegfried Trebitsch Suhrkamp Verlag Berlin Frankfurt am Main 1950 M Johns T Schmader A Martens Knowing is half the battle teaching stereotype threat as a means of improving women s math performance In Psychological Science Band 16 Marz 2005 S 175 179 PMID 15733195 M Wraga J M Shephard J A Church S Inati S M Kosslyn Imagined rotations of self versus objects an fMRI study In Neuropsychologia Band 43 2005 S 1351 1361 PMID 15949519 A C Krendl J A Richeson W M Kelley T F Heatherton The negative consequences of threat a functional magnetic resonance imaging investigation of the neural mechanisms underlying women s underperformance in math In Psychological Science Band 18 Februar 2008 S 168 175 PMID 18271865 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pygmalion Effekt amp oldid 235734617