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My Sister and I ist der Titel eines Buches das erstmals 1951 in New York erschien Auf der Titelseite wurden als Autor Friedrich Nietzsche und als Ubersetzer und Verfasser der Einleitung der britische Nietzsche Experte Oscar Levy genannt Von dieser Schrift ist weder ein Originalmanuskript noch eine Version in deutscher Sprache uberliefert Das Buch hatte bisher zwei durch Jahrzehnte getrennte Rezeptionen Bei der ersten Rezeption kurz nach Erscheinen waren sich alle Beteiligten schnell einig dass es sich bei dem Text um eine Falschung handelt weder Nietzsche noch Levy seien an seiner Entstehung beteiligt gewesen Die meisten Nietzscheforscher schlossen sich in der Regel stillschweigend dieser Auffassung an und ignorierten das Werk seither Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es jedoch eine zweite Rezeption des Textes welche die Argumente der ersten zuruckweist und es fur wahrscheinlich halt dass mehr oder weniger umfangreiche Passagen des Haupttextes authentisch sind Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Vorgeschichte 3 Erste Rezeption Zuruckweisung als Falschung 4 Zweite Rezeption Ein authentischer Kern 5 Editionen 6 Literatur 6 1 Zur ersten Rezeption 6 2 Zur zweiten Rezeption 7 NachweiseInhalt BearbeitenDer Text des Buches umfasst ungefahr 250 Seiten und lehnt sich in der Form an fruhere Texte Nietzsches wie etwa Die frohliche Wissenschaft an Er ist in zwolf unbetitelte Kapitel unterteilt die aus sehr unterschiedlich langen Abschnitten bestehen Ein kurzer Epilog beschliesst den Text Das Buch ist als Fortsetzung von Nietzsches Ecce Homo konzipiert und enthalt Bekenntnisse und Stellungnahmen des Autors zu Personen und Ereignissen in seinem also angeblich Nietzsches Umkreis und allgemeine Reflexionen Pia Daniela Volz die die bisher ausfuhrlichste Studie uber Nietzsches Krankheiten und speziell seine letzten Jahre schrieb 1 fasst die wesentlichen Punkte des Buches zusammen Nietzsche identifiziert sich ausser mit den blutrunstigen Tyrannen Nero und Caligula auch mit dem Muttermorder Orest Im Alptraum gleich zu Beginn des Buches nimmt er an der Beerdigung seiner Mutter teil voller Freude uber das Ende ihrer Tyrannei In My Sister and I finden sich ausschliesslich bose Bemerkungen uber die alte verhasste Mutter mit ihren Medusa Augen Sie habe aus Tugendhaftigkeit alle Liebe aus dem Haus verbannt und so ihre Kinder gezwungen Halt aneinander zu suchen Das inzestuose Verhaltnis zwischen Friedrich und Elisabeth stelle dann das Hauptthema dar um das alles kreist 2 Diese beiden Aspekte wurden in der ersten Rezeption als derart frevelhaft empfunden dass man die ganze Schrift entrustet als ode Pornographie zuruckwies Vorgeschichte BearbeitenDer Einleitung zufolge hat Nietzsche das Manuskript zu der spater in englischer Ubersetzung erschienenen Schrift My Sister and I wahrend seines Aufenthaltes in der Jenaer Nervenheilanstalt verfasst also in der Zeit von Mitte Januar 1889 bis Marz 1890 Weil schon sein Ecce Homo von seiner Familie unterdruckt worden sei und wegen der heiklen Thematik habe er My Sister and I heimlich schreiben und aus der Anstalt schmuggeln lassen mussen Ein Mitinsasse dessen Entlassung kurz bevorstand sei ihm dabei behilflich gewesen freilich ohne zu wissen wer Nietzsche sei und welche potentielle Bedeutung das Manuskript habe Nietzsche habe die Hoffnung gehegt dass durch die Veroffentlichung dieser Schrift auch ein Druck auf die Familie entstunde den Ecce homo zur Veroffentlichung freizugeben Der entlassene Mitinsasse habe allerdings Nietzsches Wunsch das Manuskript einem Verleger zuzufuhren nicht ernst genommen und es zunachst in seinem Hause liegen gelassen Sein Sohn habe es spater als er nach Kanada auswanderte mitgenommen Da der Chef der Firma bei der er dort arbeitete ein ehemaliger Priester war der sich generell fur alte Schriften interessierte habe er es ihm gezeigt und der habe da er von Nietzsche wusste die Bedeutung der Handschrift erkannt und sie seinem Angestellten abgekauft Auf einer Schiffsreise von Kanada nach England habe jener Ex Priester die Bekanntschaft eines jungen Amerikaners gemacht der als Korrespondent fur eine grosse US Zeitung nach London ging Dieser US Journalist habe dem Ex Priester spater eine grossere Gefalligkeit getan bei der er seine personliche Freiheit riskiert habe und als Lohn und Dank dafur habe der Ex Priester ihm nach seiner Ruckkehr nach Kanada wie versprochen jenes Nietzsche Manuskript per Post nach London geschickt Der Journalist habe sich daraufhin an Oscar Levy den Herausgeber einer 18 bandigen englischen Nietzsche Ausgabe gewandt und ihn um die Ubersetzung des Textes und Abfassung einer Einleitung gebeten Da in Deutschland Elisabeth Forster Nietzsche noch lebte wolle er das Werk in Amerika herausbringen wo Henry L Mencken schon mit der Herausgabe von Der Antichrist Pionierarbeit geleistet habe Soweit die im Marz 1927 mit dem Namen Oscar Levy gezeichnete Einleitung Erschienen ist das Buch aber erst 1951 und zwar im Verlag Boar s Head Books in New York einem der zahlreichen buchhandlerischen Unternehmungen des umstrittenen Literaten und Geschaftsmannes Samuel Roth der ubrigens in den 1920er Jahren als Korrespondent des New York Herald in London war Roth hatte zu dieser Zeit einen schlechten Ruf als Verleger und Verbreiter erotischer Literatur wozu etwa Werke von James Joyce oder D H Lawrence zahlten wurde von Gesellschaften zur Unterdruckung des Lasters verfolgt und mehrere Male zu Haftstrafen verurteilt Er selbst sah sich jedoch als Kampfer fur Meinungs und Pressefreiheit und wird im Ruckblick auch gelegentlich als solcher gewurdigt 3 Roth der in den 1920er Jahren gute Verbindungen zu literarischen Kreisen in England hatte und so an das ubersetzte Manuskript gelangt sein konnte hatte 1927 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Beau unter dem Titel The Dark Surmise Concerning Friedrich Nietzsche and His Sister Der dunkle Verdacht Friedrich Nietzsche und seine Schwester betreffend einen Abdruck des Textes in mehreren Folgen angekundigt Dazu kam es nicht weil die Zeitschrift sich nur kurze Zeit halten konnte Er erschien erst 1951 nachdem Elisabeth Forster Nietzsche 1935 und Oscar Levy 1946 gestorben waren Roth gibt als Grund fur die Verzogerung nur an erst jetzt sei ein ungefahrdetes Erscheinen moglich geworden Erste Rezeption Zuruckweisung als Falschung BearbeitenDas Buch wurde zunachst von der philosophischen Fachwelt und von allen grosseren Presseorganen ignoriert weil es thematisch sehr heikel und in einem dubiosen Verlag erschienen war Eine schliesslich doch im renommierten Saturday Review of Literature Anfang 1952 erschienene Rezension loste aber eine heftige Diskussion aus die ausschliesslich von deutschen und osterreichischen Emigranten und vorwiegend in der deutsch judischen New Yorker Zeitschrift Aufbau stattfand Beteiligt waren der Philosoph und Bibliothekar Adolf K Placzek der Publizist Alfred Werner der Schriftsteller Thomas Mann sowie die Philosophieprofessoren und Nietzsche Experten Ludwig Marcuse und Walter Kaufmann Placzek der angibt Nietzsche zeitlebens studiert zu haben referierte am 2 Februar 1952 im Saturday Review kurz die in der Einleitung beschriebene Entstehungsgeschichte des Buches und den Inhalt Dieser bestehe aus zwar unzusammenhangenden aber erstaunlich koharenten Abschnitten Inwieweit die galanten Geschichten uber Nietzsches Liebesleben auf Tatsachen beruhten oder auf Halluzinationen musse dahingestellt bleiben Auch die Schilderung eines eigenen Wutanfalls anlasslich des Todes seiner Mutter die wie ein Falscher wissen musste noch bis 1897 lebte bedurfe einer Erklarung Gleichwohl beurteilte er den Inhalt als explosiv Er schloss die relativ kurze Rezension mit den Worten Falls dies eine authentische Schrift Nietzsches ist muss sie zu den grossten literarischen Entdeckungen des zwanzigsten Jahrhunderts gezahlt werden falls alle Beteiligten einschliesslich Dr Levy getauscht wurden ist dies der raffinierteste Schabernack in der Kulturwelt seit van Meegerens Vermeer Diese Rezension veranlasste Werner den damals in den USA lebenden Thomas Mann der einige Jahre zuvor mit seinen Werken Doktor Faustus und Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung als Nietzsche Kenner hervorgetreten war brieflich 3 Marz auf das unselige Buch aufmerksam zu machen und anzufragen ob nicht Verehrer Nietzsches gegen diese grobe Falschung Stellung nehmen sollten Mann der das Buch nicht kannte nahm Werners Angebot an sich das Machwerk von ihm schicken zu lassen Er kam zu der Auffassung dass es sich um einen offenkundigen Schwindel handele dem man nicht mit wissenschaftlicher Diskussion sondern nur mit Hohn und verachtungsvoller Blossstellung begegnen kann Brief an Werner 5 April Er wollte aber nicht selbst das Wort ergreifen sondern dies dem befreundeten Ludwig Marcuse uberlassen In Briefen an die New York Times und den Londoner Observer beide 8 April setzte Mann sich fur den Abdruck eines Artikels von Marcuse ein Da keine der grossen Zeitungen das Thema anpacken wollte wurde Marcuses Artikel schliesslich in der deutsch judischen Emigrantenzeitschrift Aufbau abgedruckt Er trug den Titel Ein Stuck aus dem literarischen Tollhaus zwei Folgen 18 und 25 April spiesste zwar einige Ungereimtheiten von Einleitung und Haupttext auf war aber nach Thomas Manns Vorschlag vorwiegend in spottischem Ton gehalten Nun meldete sich Kaufmann zu Wort Aufbau 9 Mai Er habe Werner als dieser ihn Ende Februar anrief und noch kaum glauben mochte dass der Text eine Falschung sei auf eine eigene Rezension hingewiesen die bereits am 24 Februar im Milwaukee Journal erschienen sei In dieser Rezension habe er zwei Monate vor Marcuse schon auf eine Reihe von Punkten aufmerksam gemacht die von Marcuse ubersehen worden seien So sehr er dessen Besprechung begrusse musse er doch Marcuses Auffassung widersprechen der Falscher musse viele Nietzsche Seminare besucht und die gesamte Nietzsche Literatur von Riehl bis Jaspers intus haben vielmehr seien dessen Nietzsche Kenntnisse so durftig dass er sie durch fluchtige Lekture von seinem Kaufmanns Nietzsche Buch 1950 gewonnen haben konnte Im ubrigen erscheine in der Mai Ausgabe von The Partisan Review ein Artikel von ihm in dem Antworten auf Marcuses Fragen und Korrekturen zu dessen und einem inzwischen von Werner publizierten Artikel gegeben werden Werner hatte am 2 Mai ebenfalls im Aufbau Marcuses Artikel kritisiert und obendrein ohne Zustimmung von Thomas Mann aus dessen Briefen an ihn zitiert Mann zeigt sich in seinem Tagebuch verargert uber den Verlauf der Sache uber das torichte Sich wichtig machen des A Werner 5 Mai ebenso wie uber die suffisante Gelehrteneitelkeit von Kaufmann Durch Werners Indiskretionen in die offentliche Debatte einbezogen sah er sich zu einer kurzen Stellungnahme Meine Meinung uber My Sister and I Aufbau 16 Mai genotigt Er verteidigt seinen Freund Marcuse und gibt zu bedenken dass mit der Enthullung des begehrten Handelsartikels als eines lappischen Falsums nicht alles getan sei der pathologische Spassvogel er sei lebend oder tot der es dem Verlag fabrizierte sei noch ausfindig zu machen Letzteres dauerte noch eine Weile Trotz der Streitigkeiten um Prioritat und Fehler im Detail waren sich alle Beteiligten schliesslich darin einig dass es sich sowohl bei My Sister and I als auch was Ruckfragen bei Levys Tochter bekraftigten bei der Einleitung um eine Falschung handelte Nur den Falscher hatte man nicht gefunden Obwohl die gelehrte Welt auch nach der Debatte in Aufbau keinerlei Interesse an diesem Buch und dessen Urheber zeigte lieferte Kaufmann sechzehn Jahre spater die Identitat des Falschers nach Der inzwischen verstorbene Schriftsteller David George Plotkin schrieb Kaufmann 1968 habe ihn 1965 aufgesucht und ihm eine lange handgeschriebene und unterschriebene Erklarung gegeben in der er sich als Autor von My Sister and I bezeichnet 4 Diese mit dreijahriger Verspatung bekannt gegebene Erklarung hat jedoch nie ein Dritter gesehen und in Kaufmanns Nachlass ist sie nicht erhalten Trotz des allgemeinen Desinteresses an dem Buch und trotz der nach anfanglichen Schwankungen schliesslich einhelligen Einschatzung als Falschung durch die die sich damit befasst hatten gab es spater Skeptiker die diese pauschale Zuruckweisung des gesamten Textes fur unangebracht hielten und ohne die offenkundigen Ungereimtheiten zu leugnen versuchten einen authentischen Kern des Textkonvoluts also wahrscheinlich tatsachlich von Nietzsche stammende Passagen zu eruieren Zweite Rezeption Ein authentischer Kern BearbeitenMindestens ein solches Votum gab es bereits kurz nach Erscheinen von My Sister and I und zeitlich vor der geschilderten Debatte Es stammt von dem Psychoanalytiker Wilhelm Reich der ein lebenslanger Verehrer Nietzsches war seiner ersten Schrift ein Motto von Nietzsche vorangestellt hatte 5 und noch im Alter notierte er kehre immer wieder zu Nietzsche zuruck 6 Reich ignorierte die Ungereimtheiten und Widerspruche des Textes und betrachtete die sexuellen Gestandnisse darin nicht als Besudelung Nietzsches sondern urteilte vielmehr Nietzsche habe hier endlich die volle Wahrheit uber sich selbst geschrieben 7 Reichs eher beilaufig abgegebenes Urteil blieb seither unbeachtet Die Einschatzung aller Beteiligten an der Diskussion von 1952 dass es sich bei dem Buch um eine Falschung handelt fuhrte dazu dass es trotz mehrerer Neuauflagen in der Fachwelt und speziell der Nietzsche Forschung ignoriert wurde Heinz F Peters der 1977 eine Monographie uber Fritz und Lieschen Nietzsche herausbrachte warnt noch einleitend kurz vor dieser Falschung diskutiert sie aber nicht 8 Spatere Arbeiten uber Elisabeth Forster Nietzsche die ja stets in Hinblick auf ihr Verhaltnis zu ihrem Bruder angelegt sind 9 erwahnen My Sister and I gar nicht mehr Dies trifft auch fur samtliche bekannten Nietzsche Biographien zu Erstmals gut drei Jahrzehnte nach der ersten Rezeption 1986 meldete sich wieder ein Autor zum Thema My Sister and I zu Wort Der US amerikanische Germanist Walter K Stewart stand der zuruckliegenden Diskussion die nur in einigen Artikeln in obskuren Zeitungen statt in Fachzeitschriften erfolgte und schnell mit dem pauschalen Verdikt Falschung abgeschlossen wurde skeptisch gegenuber und schrieb einen Artikel in dem er dreierlei zeigen will dass die bisher gegen das Buch vorgetragenen Thesen inadaquat sind dass das Buch deutliche Verbindungen zu Nietzsches publizierten und unpublizierten Schriften aufweist dass Nietzsches physische und mentale Befindlichkeit zu der Zeit in der das Originalmanuskript entstanden sein soll in erheblichem Masse verfalscht dargestellt worden sind Insbesondere will Stewart zeigen dass Kaufmanns vorgeblich vernichtende Kritik an dem Text bei naherer und nuchterner Betrachtung keineswegs uberzeugend sei Er behauptet nicht die Fragen die das Buch aufwirft gelost zu haben wohl aber dass die fruhere Argumentation nicht tragfahig sei um das eindeutige Verdikt Falschung zu rechtfertigen Der Fall sei also nach wie vor offen und wegen der Folgen fur die Bewertung von Nietzsches Einfluss auf das moderne Denken es wert neu aufgerollt und genauestens untersucht zu werden Stewarts Artikel erschien zwar in einer angesehenen Zeitschrift in der von der Fordham University herausgegebenen Thought blieb aber ohne jedes publizierte Echo Eine Folge von Stewarts Artikel war indes der Entschluss zweier junger Verleger das Buch 1990 angereichert mit einer Dokumentation zur bisherigen Diskussion neu herauszugeben Das Neuerscheinen des Buchs veranlasste Reginald Hollingdale einen bekannten britischen Nietzsche Forscher und Ubersetzer zu einer kurzen Rezension Er zitiert eine langere Passage aus My Sister and I und fragt Hat Nietzsche das geschrieben Nein naturlich nicht und das ist auch keine Ubersetzung aus dem Deutschen Der Stil stamme von Sade das Buch sei fur den Porno Markt geschrieben Er fugt hinzu Nicht eine einzige Passage zeigt irgendeine Ahnlichkeit zu Nietzsches bekanntem Werk Entsprechend attackiert er auch Stewarts dem Buch beigegebenen Artikel Eine weitere Besprechung erschien in Telos Kathleen Wininger eine junge Philosophie Professorin die uber Nietzsche promoviert hatte zeigt sich offen fur die den Text durchziehende Thematik Frauen und Sexualitat Obwohl die Authentizitat des Textes nur schwer feststellbar sei und die Fehler und Widerspruche ein Problem darstellen nennt die das Ganze doch eine mogliche Geschichte Stewart habe die relevanten Fragen dazu gestellt Ein anderer Autor der unabhangig von Stewarts Arbeit zur gleichen Zeit die Frage der Autorschaft von My Sister and I wieder aufrollte war der deutsche Philosophieprofessor Hermann Josef Schmidt Schmidt ist als Nietzsche Forscher bestens ausgewiesen und trat 1991 mit einer monumentalen zweitausendfunfhundert Seiten in vier Banden umfassenden Studie uber Nietzsches Kindheit und Jugend hervor Nietzsche absconditus In Teil III Nietzsche absconditissimus innerhalb eines Kapitels uber Nietzsches Geschlechtlichkeit ein Schlussel zu vielem geht er in einem 35 seitigen Exkurs auf unsere Frage ein deren potentielle Bedeutsamkeit in irritierender Weise geradezu in umgekehrtem Verhaltnis zu ihrer Seriositat zu stehen scheint Schmidt gliedert das Thema fein auf geht vielen Spuren nach erortert jeweils das Fur und Wider und kommt zu folgenden Zwischen Ergebnissen Erstes Fazit insbesondere die fur Jena rekonstruierbaren Rahmenbedingungen schliessen die Annahme einer Autorschaft Nietzsches nicht nur nicht aus sondern machen sie eher wahrscheinlich Zweites Fazit es passt also alles zumindest im Sinne der Moglichkeit schon recht beeindruckend zusammen Drittes Fazit wenn irgendwann in seinem Leben dann hatte sich Nietzsche nicht nur fruhestens sondern insbesondere in den knapp anderthalb Jahren Jena zu seiner erotischen Lebensgeschichte aussern konnen denn vorher ware er dazu zu vorsichtig und gehemmt und spater wohl zu schwachsinnig gewesen Viertes Fazit nun ware die Annahme plausibel und plausibler als ihr Gegenteil dass es in My Sister and I umfangreichere Passagen geben muss die nicht erstmals Ende der Vierzigerjahre formuliert wurden und dass diese Passagen genau das treffen mussen was My Sister and I spater beruhmt und beruchtigt machte die geschwisterliche Inzeststory Funftes Fazit Erwagungen zur Rolle Oscar Levys Schmidt als einer der weltweit besten Kenner von Kindheit und Jugend Nietzsches bescheinigt dem Verfasser wenn es denn ein Falscher war ein recht intimer Kenner der Juvenilia Nietzsches gewesen zu sein Dazu kontrastieren freilich die zahlreichen offenkundigen Ungereimtheiten Deshalb fasst er seine Auffassung zusammen dass My Sister and I in der Substanz auf einen teils gekurzten teils drastisch erweiterten Text Nietzsches zuruckgeht Freilich blieben dennoch viele Ratsel offen Ratsel die zu losen nicht unwichtig ware da Nietzsches Lebens und Denkentwicklung von seinen zwischenmenschlichen Problemen nachhaltig beeinflusst ist und hier wieder das Geschwisterverhaltnis mit seinen Tiefen und Untiefen einen wichtigen Rang einnimmt Diese Wiederbelebung der Diskussion um My Sister and I Anfang der 1990er Jahre hatte zur Folge dass der Wiener Verlag Turia amp Kant 1993 in Anzeigen das Erscheinen der ersten Ruckubersetzung des Textes Friedrich Nietzsche Ich und meine Schwester Das Werk aus der Nervenklinik ankundigte denn neuere Dokumente lassen die Falschungsthese als zweifelhaft erscheinen Das Projekt wurde aber stillschweigend eingestellt Der britische Psychologe Heward Wilkinson stiess 1994 per Zufall auf ein Exemplar von My Sister and I und wunderte sich dass er dem Titel bei seinen bisherigen Nietzsche Studien nie begegnet war Er befasste sich genauer mit dem Buch und dessen merkwurdiger Rezeption schrieb zunachst 1997 eine Rezension und funf Jahre spater einen langeren Artikel in dem er seine Uberzeugung begrundete dass der Text aufgrund der eindrucksvollen Kontinuitat des Stils und der behandelten Problematik im Anschluss an Ecce homo sehr wahrscheinlich von Nietzsche stammt Die durch Ecce homo aufgeworfene Frage Wer ist Friedrich Nietzsche lose sich darin in ein raffiniertes postmodernes Dilemma auf Der israelische Schriftsteller Yeshayahu Yariv schrieb anlasslich einer 2006 erschienenen hebraischen Version von My Sister and I ein Nachwort Er setzt sich darin mit den Ungereimtheiten des Textes und seiner Uberlieferung sowie mit Kaufmanns Argumenten auseinander und schlagt vor als Kriterium der Authentizitat ausschliesslich den Text heranzuziehen den er nicht als Buch sondern als Sammlung von Notizen sieht und deshalb lieber Last Pages betiteln wurde Nietzsche habe in einem Zustand geschrieben in dem Klarheit und Halluzinationen wechselten Deshalb werde man nie wissen in welchem Sinne die Geschichten uber die Mutter die Schwester und seine Geliebten stimmen Aber darauf kame es gar nicht an Yariv ist von der Autorschaft Nietzsches uberzeugt denn ein Falscher hatte niemals die Nietzsche sche Diktion uber 250 Seiten durchhalten konnen und ware ausserdem bestrebt gewesen das Werk den fruheren intentional ahnlich zu machen Hier aber habe einer gegen den alten Nietzsche geschrieben der neue Nietzsche Deshalb gab Yariv seinem Nachwort den Titel den er aus dem Buchtext zitiert Nietzsche contra Nietzsche Die erste Monographie zum Thema erschien 2007 185 Seiten stark geschrieben von Walter Stewart Ein Rezensent der 1990er Ausgabe von My Sister and I in der Stewarts Aufsatz von 1986 abgedruckt ist hatte geschrieben diesem sei es nicht gelungen Kaufmanns These von der Falschung zu widerlegen Der Beweis fur Stewarts Behauptung Kaufmanns Kritik konne Punkt fur Punkt entkraftet werden musse von ihm erst noch erbracht werden 10 Ebendies will er hier in acht ausfuhrlichen und aufwendig belegten Kapiteln tun Als Ergebnis fasst er zusammen Es gab keine wirkliche Widerlegung von My Sister and I als Werk Nietzsches Die Behauptungen von Kaufmann und anderen sind unbelegt ungenau und daher wertlos Die Behauptungen es gabe Anachronismen im Buch sind falsch Nietzsches gesundheitliche Verfassung in der Jenaer Anstalt wurde falsch dargestellt was jede objektive Analyse des Buchs beeintrachtigt hat Der Autor von My Sister and I das angeblich kurz nach Nietzsches Zusammenbruch geschrieben wurde aussert dieselben Ansichten schreibt aufgrund gleicher Erinnerungen und behandelt die gleichen Themen wie Nietzsche sowohl in dem kritischen Jahr vor dem Zusammenbruch als auch wahrend seiner Zeit in der Anstalt Im Buch sind die gleichen Themen und Probleme genau und detailliert behandelt die Nietzsche vor und kurz nach dem Zusammenbruch beschaftigten Nietzsches personlichste Gedanken sein Wissen uber Menschen und Dinge sowie seine Meinungen uber Andere sind im Buch treffend wiedergegeben Stewart betont freilich abschliessend noch einmal dass trotz allem kein Nietzscheforscher er selbst eingeschlossen sagen konne Nietzsche habe das Buch geschrieben Aber alle anderen Hypothesen stunden auf noch unsichererem Grund In seinem Aufsatz von 1986 hatte Stewart abschliessend erklart Falls es irgendeine Verbindung zwischen My Sister and I und Nietzsche gibt konnte dies bedeutsame Auswirkungen nicht nur auf die Nietzscheforschung sondern auch auf die Einschatzung von Nietzsches Beitrag zum westlichen Denken haben Im Buch von 2007 in dem er diese Verbindung hergestellt zu haben behauptet sagt er im letzten Satz nur dass My Sister and I weit grossere Aufmerksamkeit verdiene und er hoffe hierfur den ersten Schritt getan zu haben Editionen BearbeitenMy Sister and I by Friedrich Nietzsche Trans and intr by Oscar Levy New York Boar s Head Books 1951 zahlreiche Neuauflagen am verbreitetsten My Sister and I Trans and intr by Oscar Levy Los Angeles Amok Books 1990 ISBN 1 878923 01 3 enthalt Nachdrucke aus der Kontroverse um das Buch Ubersetzungen Brasilianisch A minha irma e eu Trad de Rubens Eduardo Frias Sao Paulo Moraes 1992 ISBN 85 88208 77 6 Chinesisch 我妹妹和我 Wo mei mei yu wo Ubers Cangduo Chen Beijing Shi Wen hua yi shu chu ban she 2003 ISBN 75 0392 355 5 Deutsch Ich und meine Schwester Das Werk aus der Nervenklinik Wien Turia Kant 1993 ISBN 3 85132 066 2 angekundigt nicht erschienen Hebraisch Meine Schwester und ich Ubersetzung von Halit Yeshurun Tel Aviv Yedioth Ahronoth Books 2006 with a review Nietzsche contra Nietzsche by Yeshayahu Yariv Japanisch Hi ni kakenoboru Ubers Rin Jubishi Tokyo Shiki sha 1956 Koreanisch Nich e ch oehu ŭi kobaek na ŭi nui wa na My sister amp I P ŭridŭrihi Nich e Yi Tŏk hŭi omgim Yi Tŏk hŭi Ubers Sŏul Chakka Chŏngsin 1999 ISBN 89 7288 111 2 Portugiesisch A minha irma e eu Trad de Pedro Jose Leal Lisboa Hiena 1990 Spanisch Mi hermana y yo Trad de Bella M Abelia Buenos Aires Rueda 1956 Barcelona Hacer 1980 Madrid EDAF 1996 ISBN 84 7166 720 7 Literatur BearbeitenZur ersten Rezeption Bearbeiten A dolf K Placzek Nietzsche Discovery In Saturday Review of Literature 2 February 1952 pp 19 20 enth in Amok Edition Walter Kaufmann Herr Nietzsche s Lost Confessions In Milwaukee Journal 24 February 1952 Margaret Meehan Rediscovered Nietzsche In Saturday Review of Literature 5 April 1952 p 22 enth in Amok Edition A dolf K Placzek Letter re Mrs Meehan s Answer In Saturday Review of Literature 5 April 1952 p 22 enth in Amok Edition Ludwig Marcuse Ein Stuck aus dem literarischen Tollhaus I In Aufbau New York vol 18 n 15 18 April 1952 S 11 12 Ludwig Marcuse Ein Stuck aus dem literarischen Tollhaus II In Aufbau New York vol 18 n 16 25 April 1952 S 11 12 Alfred Werner Der Pseudo Nietzsche In Aufbau New York vol 18 n 18 2 Mai 1952 S 7 Walter Kaufmann Re Nietzsche s My Sister and I In Aufbau New York vol 19 n 18 9 Mai 1952 S 8 Ludwig Marcuse Meine Nietzsche Artikel und ihre Hintergrunde In Aufbau New York vol 18 n 20 16 Mai 1952 S 5 Thomas Mann Meine Meinung uber My Sister and I In Aufbau New York vol 18 n 20 16 Mai 1952 S 5 Alfred Werner Wer schrieb My Sister and I In Aufbau New York vol 18 n 22 30 Mai 1952 S 5 Walter Kaufmann Nietzsche and the Seven Sirens In Partisan Review vol 19 n 3 May June 1952 pp 372 376 enth in Amok Edition Walter Kaufmann Notice on My Sister and I 9th printing 1953 In Philosophical Review vol 65 n 1 Jan 1955 pp 152 153 enth in Amok Edition Thomas Mann Tagebucher 1951 1952 Hg Inge Jens Frankfurt M S Fischer 1993 Zahlreiche Eintrage vom 10 Marz bis 3 Juni 1952 Kommentare Zur zweiten Rezeption Bearbeiten Walter K Stewart My Sister and I The Disputed Nietzsche In Thought a Review of Culture and Idea vol 61 no 242 1986 pp 321 335 enth in Amok Edition Pia Daniela Volz Der unbekannte Erotiker Nietzsches fiktive Autobiographie My Sister and I In Karl Corino Hg Gefalscht Nordlingen Greno 1988 S 287 304 Hermann Josef Schmidt Nietzsche absconditus oder Spurenlesen bei Nietzsche Kindheit Teil 3 Berlin Aschaffenburg IBDK Verlag 1991 S 629 663 ISBN 3 922601 08 1 R eginald J ohn Hollingdale Review of My Sister and I ed Amok Books In Journal of Nietzsche Studies issue 2 autumn 1991 pp 95 102 K athleen J Wininger The Disputed Nietzsche In Telos A Quarterly Journal of Critical Thought number 91 spring 1992 pp 185 189 Review of My Sister and I Heward Wilkinson review of My Sister and I In International Journal of Psychotherapy vol 2 n 1 1997 pp 119 124 Heward Wilkinson Retrieving a posthumous text message Nietzsche s fall the significance of the disputed asylum writing My Sister and I In International Journal of Psychotherapy vol 7 n 1 2002 pp 53 68 Steffen Dietzsch Leila Kais Exkurs My Sister and I In dies Oscar Levys europaische Nietzsche Lektion In Oscar Levy Nietzsche verstehen Essays aus dem Exil 1913 1937 Berlin Parerga 2005 S 271 341 305 313 Yeshayahu Yariv Nietzsche contra Nietzsche Tel Aviv 2006 Nachwort zur hebraischen Ausgabe von My Sister and I Walter K Stewart Nietzsche My Sister and I A Critical Study s l Xlibris 2007 ISBN 978 1 4257 6097 7 185 pp Walter K Stewart Friedrich Nietzsche My Sister and I Investigation Analysis Interpretation s l Xlibris 2011 ISBN 978 1 4653 4789 3 290 pp Jay A Gertzman Samuel Roth Infamous Modernist Gainesville FL USA U Press of Florida 2013 ISBN 978 0 8130 4417 0 pp 233 244 Nachweise Bearbeiten Pia Daniela Volz Nietzsche im Labyrinth seiner Krankheit Wurzburg Konigshausen und Neumann 1990 Diss Tubingen 1988 Pia Daniela Volz Der unbekannte Erotiker Nietzsches fiktive Autobiographie My Sister and I In Karl Corino Hg Gefalscht Nordlingen Greno 1988 S 293 295 Vgl Gay Talese Du sollst begehren Auf den Spuren der sexuellen Revolution 1980 Berlin Rogner und Bernhard 2007 Kap 6 S 122 145 Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist 3rd edition 1968 hier zitiert nach der deutschen Ausgabe Nietzsche Philosoph Psychologe Antichrist Darmstadt Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1982 S 519 Wilhelm Reich Libidokonflikte und Wahngebilde in Ibsens Peer Gynt In ders Fruhe Schriften I Koln Kiepenheuer amp Witsch 1977 S 19 77 Wilhelm Reich American Odyssey New York Farrar Straus and Giroux 1999 p 432 Wilhelm Reich The Murder of Christ 1953 geschrieben Juni August 1951 zitiert nach der deutschen Ausgabe Christusmord Olten und Freiburg Br Walter Verlag 1978 S 34 Heinz Frederick Peters Zarathustras Schwester Fritz und Lieschen Nietzsche ein deutsches Trauerspiel Munchen Kindler 1983 engl Orig 1977 Klaus Goch Elisabeth Forster Nietzsche Ein biographisches Portrat In Luise Pusch Hg Schwestern beruhmter Manner Frankfurt M Insel 1985 S 363 413 Carol Diethe Nietzsches Schwester und der Wille zur Macht Biographie der Elisabeth Forster Nietzsche Hamburg Europa Verlag 2001 Dirk Schaefer Im Namen Nietzsches Elisabeth Forster Nietzsche und Lou Andreas Salome Frankfurt M Fischer TB 2001 Denis Dutton Decontextualized Crab Nietzsche dreams of Detroit In Philosophy and Literature vol 16 no 1 April 1992 pp 239 249 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title My Sister and I amp oldid 238394105