Knockemstiff ist eine Anthologie mit 18 über den gemeinsamen Handlungsort miteinander verbundenen Erzählungen des amerikanischen Autors Donald Ray Pollock, erschienen 2008 beim US-Verlag Doubleday Books und 2013 in der Übersetzung von Peter Torberg beim Münchner Liebeskind Verlag,
Bei den Geschichten handelt es sich um biografische Erzählungen, die alle in dem Ort Knockemstiff in Ohio, dem Geburtsort des Autors, spielen. Das Buch wird von einigen Rezensenten als „nachtschwarze Americana-Literatur“ beschrieben und in eine Reihe mit Romanen von Autoren wie Pete Dexter oder Daniel Woodrell gestellt, die ebenfalls in deutschen Übersetzungen beim Liebeskind Verlag erschienen sind. Auch werden Vergleiche gezogen zu Werken von Cormac McCarthy und Sherwood Anderson.
Allgemeines und formaler Aufbau Bearbeiten
Das Buch besteht aus 18 einzelnen Kurzgeschichten, die aus jeweils einem kurzen Kapitel bestehen. Die einzelnen Geschichten werden aus wechselnden Perspektiven erzählt, entweder aus der Rolle eines auktorialen Erzählers oder aus der Ich-Perspektive der Protagonisten. In vielen der Geschichten spielen zudem innere Monologe und Gedanken eine Rolle, die ohne entsprechende Anführungszeichen wiedergegeben werden.
Das Buch trägt die Widmung „Für Patsy“ auf dem Vorblatt. Den Geschichten wurde ein Zitat der amerikanischen Autorin Dawn Powell vorangestellt:
„Alle Amerikaner stammen ursprünglich aus Ohio, wenn auch nur kurz.“
Hinzu kommt eine gezeichnete Ortskarte des Ortes Knockemstiff und der Umgebung, in der die einzelnen Häuser des Ortes und andere Handlungsorte der Geschichten eingezeichnet sind.
Inhalt Bearbeiten
Überblick Bearbeiten
Der Buchtitel Knockemstiff ist zugleich auch der Name des Handlungsortes aller Geschichten sowie der Titel einer Geschichte. Die Handlungen der Geschichten spielen durchweg in diesem Ort und der näheren Umgebung und finden im Zeitraum mehrerer Jahrzehnte zwischen den 1960er und 1990er Jahren statt. Bereits der Klappentext der deutschsprachigen Version gibt einige Hinweise auf die zusammenfassenden Elemente des Buches und beschreibt den Ort Knockemstiff als „ein tristes Kaff in der weiten Leere des Mittleren Westens“, in dem man auf „Außenseiter“ trifft, „die hin- und hergerissen sind zwischen Sehnsucht und verlorener Hoffnung, zwischen Aufbegehren und sinnloser Gewalt“. In den Geschichten werden einzelne Personen oder Personengruppen porträtiert, in der Regel gescheiterte Personen aus den unteren sozialen Schichten. Im Mittelpunkt fast aller Geschichten stehen Drogen, Sex und Gewalt, die für die beschriebenen Personen lebensbestimmend sind. Ein weiteres zentrales Thema bildet die Flucht aus Knockemstiff und dem sozialen Milieu, die den Protagonisten jedoch nie gelingt.
Eine Rahmenhandlung existiert nicht, allerdings bilden die erste und die letzte Geschichte einen Rahmen um die Sammlung; beide handeln von der Beziehung zwischen dem Erzähler Bobby und dessen Vater. Auch andere Geschichten sind direkt über ihre Protagonisten verknüpft, etwa Pillen und Schott's Bridge über Frankie, Fischstäbchen und Angreifer über Del Murrey und das Fischstäbchen-Mädchen Geraldine sowie Bactine und Verregneter Sonntag über Jimmie und Sharon. Andere Personen werden in mehreren Geschichten erwähnt, darunter Jake Lowry in Dynamite Hole und Knockemstiff und Wanda Wipert in Pillen und Senke. Verbindend ist zudem das Thema: In allen Geschichten geht es um gewalttätige oder missbrauchte Menschen und um Drogen.
Die Geschichten Bearbeiten
Hintergrund Bearbeiten
Der Autor Donald Ray Pollock wurde in dem beschriebenen real existierenden Ort Knockemstiff in Ohio geboren und wuchs in der Umgebung auf. Der Ort selbst ist mittlerweile verlassen. Der Name „Knockemstiff“ lässt sich frei als „Schlag sie tot!“ übersetzen. In seinen Geschichten beschreibt Pollock zwar keine autobiografischen Ereignisse, sondern fiktive Geschichten, platziert sie jedoch in den Ort und in die Ödnis seiner Heimat. Die Geschichten spielen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einige nehmen Bezug zum Vietnam-Krieg und anderen Ereignissen der 1960er Jahre.
Pollock schrieb mit 45 Jahren die Kurzgeschichte Bactine und reichte diese zur Veröffentlichung in der Zeitschrift The Journal ein, der Literaturzeitschrift des Fachbereichs für englische Literatur der The Ohio State University. Eine der Herausgeberinnen war so beeindruckt von der Story, dass sie 2005 Pollock dazu überredete, das Studienprogramm für kreatives Schreiben an der Universität zu besuchen. Bactine wurde später Teil von Knockemstiff, dem Buchdebüt Pollocks. Bei dessen Erscheinen war Pollock bereits 54 Jahre alt. In Deutschland erschien bereits vor Knockemstiff der von Pollock erst später geschriebene Roman Das Handwerk des Teufels, der 2013 mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet wurde.
Rezeption Bearbeiten
Vereinigte Staaten Bearbeiten
In den Vereinigten Staaten wurde Knockemstiff unter anderem in der New York Times, Associated Press, der Los Angeles Times, USA Today, im Wall Street Journal, Esquire und The Hopkins Review besprochen.
Jonathan Miles beschreibt Knockemstiff in der New York Times als Ort, „wo die Hauptbeschäftigung in Kleinkriminalität besteht, wo frauen-schlagende Rüpel Schnaps aus Aschenbechern trinken und gelangweilte Teenager ihre Wochenendabende damit verbringen, Dartpfeile auf ein fettes Kind zu werfen und es zum Ausgleich an der Bong ziehen lassen.“ Er setzt Ort und Werk in Beziehung Winesburg, Ohio von Sherwood Anderson: Beide konzentrieren sich auf die einsamen, die verdorbenen und ausgestoßenen Menschen, die bei Anderson als "twisted apples" und bei Pollock als "toadstools stuck in a rotten lock" bezeichnet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden liegt jedoch im sozialen Gefüge: Während in Winesburg das Sozialgebilde durch andere Charaktere wie die Ärzte und andere Personen getragen wird, fehlt ein solches Konstrukt in Knockemstiff zwischen den „Drogensüchtigen, Geflohenen, Hausbesetzern, Vergewaltigern und aufstrebenden Kinderschändern“ völlig. Neben Gewalt, Kriminalität und Drogen fokussiert Miles auch auf die Rolle der Väter und zieht Parallelen zum Werk von Pat Conroy und Chuck Palahniuk.
David Duhr zählt in seiner Rezension der Lesung Pollocks auf dem Texas Book Festival sowohl Knockemstiff als auch den Roman The Devil All the Time „zu den verstörendsten und zugleich unterhaltsamsten Büchern“, die er in den letzten Jahren gelesen habe. Dale Keiger vergleicht in The Hopkins Review die Lebensgeschichte von Pollock mit einem „Readymade“ und zitiert dessen Manager, der von einem „hidden genius“ spricht. Seiner Ansicht nach haben die Geschichten von Knockemstiff jedoch nicht die Substanz von Werken von Autoren wie Raymond Carver, Flannery O’Connor oder Cormac McCarthy, mit denen Pollock verglichen wurde.
Deutschsprachiger Raum Bearbeiten
Christian Buß nannte das Werk auf Spiegel Online Kultur ein „Hillbilly-Meisterwerk“ und einen „furiosen Erzählband“. Er beschreibt den Ort Knockemstiff als „Heimatkaff im Nirgendwo von Ohio“ und resümiert: „Aus Knockemstiff kommt eben keiner raus“ und bezieht dies auch auf Pollock und dessen Lebensgeschichte. Er setzt die in den Geschichten konsumierten Drogen und die Gewalt sowie den Gedanken an die Flucht als verbindende Elemente aller Geschichten in den Vordergrund: „Die Drogen ändern sich von Story zu Story, aber die Gewalt bleibt dieselbe, sie wird von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter vererbt. Konsumiert werden in Pollocks Geschichten unter anderem Speed, Crystal Meth, irgendwelche Schnüffelgase, aber eben auch Schmerzmittel oder Seconal-Zäpfchen, die eigentlich der Krebstherapie dienen. Die Charaktere sind immer breit, immer zu allem bereit. Außer zur Arbeit.“ Darüber hinaus stellt er den Sex und die Gewalt in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen als Ventile hervor: „Wo das Sprachzentrum dieser Speedfreaks blockiert ist, werden Sex und Gewalt zu gängigen Ausdrucksformen. Pollock beschreibt Inzucht, Triebabfuhr an Spielpuppen und Prostitution im untersten Währungsbereich (eine Speed-Kapsel gegen einmal Geschlechtsverkehr). In einer Geschichte muss ein Junge seiner Mutter im Schlafzimmer ein Messer an die Kehle halten, damit diese ihre masochistischen Phantasien ausleben kann.“ Buß stellt jedoch heraus, dass Pollock seine Geschichten und Figuren „frei von aller Lüsternheit und Brutalität“ und „mit lakonischer psychologischer Akkuratesse“ beschreibt, ohne in eine billige „Hardboiled-Folklore“ abzurutschen und damit „auf Elend mit Ästhetik“ antwortet. Pollock schaffe „wunderschöne kranke Literatur als Antwort auf die unschöne kranke Welt da draußen“ und damit eine Form, in dieser zu überleben.
Frank Schäfer vergleicht Knockemstiff in tageszeitung (taz) mit Sherwood Andersons Winesburg, Ohio, das er als „ewigen Klassiker des Romans aus Geschichten“ bezeichnet. Seiner Ansicht nach wird dem Buch mit Knockemstiff eine „billigfuselgetränkte, durch den Fleischwolf gedrehte Hillbillyversion“ entgegengestellt. Knockemstiff ist im Vergleich „ein danteskes Pandämonium, in dem man nur mehr alle Hoffnung fahren lassen kann. Obwohl sie sich alle ein besseres Leben ersehnen, das sie aus dem Fernseher kennen, gibt es kaum einen Ausweg aus diesem Loch ...einem bildungsfernen, gewalttätigen, polymorph verdorbenen White-Trash-Nest.“ Schäfer zieht Vergleiche mit den Werken Cormac McCarthys, die aus der „Härte seiner Prosa und die gelegentlichen metaphysischen Schlenker, das Hadern seiner geschundenen Protagonisten mit dem gütigen Schöpfergott oder ihre heidnischen Umdeutungen der Dingwelt zu Hostien und Segenszeichen“ resultierten. „Aber während McCarthy und Sherwood Anderson die Schlichtheit und Natürlichkeit in ihrer Prosa immer wieder kontrastieren mit deutlich expressiveren Passagen, bleibt Pollock seinem knochentrockenen, ausgemergelten, komplett bilderlosen Stil treu. Als wollte er sich und uns keine Ausflüchte erlauben.“
Jan Wiele von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) bezeichnet die Geschichten Pollocks als „die perfekte amerikanische Kurzgeschichte“, die einen „glatt aus den Schuhen haut“ und fokussiert in seiner Besprechung ebenfalls auf den Aspekt der Gewalt. Seiner Meinung nach hält Pollock seinen „No-Nonsense-Stil {...} meisterlich bis zur letzten Seite durch“. Mit der Sprache des Boxsports knüpft er direkt an die letzte Geschichte des Buches an: „Jeder Schlag sitzt, und das will schon etwas heißen bei der Vielzahl von Schwingern und Haken, die der Autor seinen Figuren in ihrem jeweiligen hard-knock-life austeilt.“ Auch er greift den Drogenmissbrauch der Protagonisten und die Hoffnungslosigkeit in dem Ort auf, den er mit Bruce Springsteen als „town full of losers“ beschreibt, und auch der Vergleich mit Anderson fehlt nicht. Er resümiert darin, dass er das Buch eine „Monotonie der Hoffnungslosigkeit“ nennt, die in ihrer lakonischen Härte selbst Charles Bukowski manchmal noch in den Schatten stellt. Nach Christoph Schröder in der Süddeutschen Zeitung erzählt Knockemstiff von einer „weltlichen Hölle voller Dreck, Inzest und Gewalt“. Er bezieht dies auf den „Tag im Leben des durchschnittlichen Knockemstiffers.“ und schreibt dazu: „Wo die Kontraste fehlen, verliert der Schrecken seine Wucht. Dieser Gefahr begegnet Pollock, indem er wenigen Figuren, beinahe unmerklich, kurze Momente emotionaler Regungen gestattet.“
Christian Schachinger interviewte Pollock im Rahmen einer Buchvorstellung in Wien für Der Standard und schrieb, dass dieser dank Knockemstiff nicht nur fest in der Tradition altvorderer American-noir-Autoren wie Erskine Caldwell, William Faulkner, Cormac McCarthy oder Flannery O’Connor steht, sondern auch „als durchaus eigenständiger, sehr genauer Beobachter seiner Umgebung“ wahrgenommen wird. Er zitiert Pollock: „Ich kann nicht behaupten, dass die Provinz Monster gebiert oder dass sogenannte Hinterwäldler gewalttätiger oder bösartiger als Leute wären, die in der Stadt wohnen. Es ist nur so, dass Menschen, die nicht besonders gut ausgebildet sind und in der ländlichen Abgeschiedenheit leben, ein gewisses Gefühl der Ausweglosigkeit verspüren, das sie möglicherweise unkontrolliert aggressiver werden lässt. Das Internet und das Fernsehen haben die Sache heute vielleicht etwas weniger dramatisch gemacht, aber meine zwei Bücher spielen ja auch in der Zeit, als ich ein junger Mann war, in den 1960er- und 1970er-Jahren.“
Ausgaben Bearbeiten
- Knockemstiff. Doubleday Books, New York 2008.
- Knockemstiff. (deutsch von Peter Torberg), Liebeskind, München 2013, ISBN 978-3-95438-014-5.
- Knockemstiff. (deutsch von Peter Torberg, Taschenbuch), Wilhelm Heyne Verlag, München 2015, ISBN 978-3-453-67678-7.
Belege Bearbeiten
- Knockemstiff beim Verlag Doubleday Books.
- Knockemstiff beim Liebeskind Verlag.
- Knockemstiff beim Heyne Verlag / Random House.
- ↑ Christian Buß: Hillbilly-Meisterwerk "Knockemstiff": Die Angst ist unser Motor. Spiegel online Kultur, 10. Juli 2013; Abgerufen am 19. Juli 2015.
- ↑ Frank Schäfer: Das wahre Leben. Die tageszeitung, 27. Juli 2013; Abgerufen am 19. Juli 2015.
- Charles McGrath: Writer Remains Literary Voice of Knockemstiff. The New York Times, 11. Juli 2011; Abgerufen am 25. Juli 2015.
- Dark tales populate 'Knockemstiff' The Augusta Chronicle (via Associated Press), 16. Mai 2008; Abgerufen am 4. August 2015.
- Eric Fortune: From Winesburg, Ohio to Knockemstiff. Abgerufen am 16. Juni 2015.
- Christian Buß: Pollocks "Handwerk des Teufels": In Gottes Schlachthaus. Spiegel online Kultur, 2. April 2012; Abgerufen am 25. Juli 2015.
- ↑ Jonathan Miles: Winosburg, Ohio. The New York Times, 23. März 2008; Abgerufen am 25. Juli 2015.
- ↑ Dale Keiger: Knockemstiff (review) The Hopkins Review, 3 (2), 2010; S. 288–291; Summary; Abgerufen am 25. Juli 2015.
- „where the dominant occupation seems to be petty crime, where wife-beating louts drink Old Grand-Dad out of car ashtrays and where restless teenage boys spend their weekend nights throwing darts at the fat kid and compensating him with bong hits.“ Zitiert aus Jonathan Miles: Winosburg, Ohio. The New York Times, 23. März 2008; Abgerufen am 25. Juli 2015.
- David Duhr: BOOK FESTIVAL: Soft-Spoken Tough Guys. Texas Observer, 22. Oktober 2011; Abgerufen am 25. Juli 2015.
- ↑ Jan Wiele: Zweitausend Dollar in der Kaffeedose und doch kein Glück. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Juni 2013; Abgerufen am 26. Juli 2015.
- ↑ Christoph Schröder: Selbstverständliches Faustrecht. Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 2013; Abgerufen am 26. Juli 2015.
- ↑ Christian Schachinger: US-Autor Pollock: Das Leben geht nicht gut aus. Der Standard, 19. September 2013; Abgerufen am 26. Juli 2015.