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Der Zeitstandversuch englisch stress rupture test ist ein Werkstoffprufverfahren zur Ermittlung des Werkstoffverhaltens bei konstanter Pruftemperatur oberhalb Raumtemperatur und nach langerem Einwirken einer konstanten Zugkraft Man unterscheidet zwischen dem unterbrochenen und dem nicht unterbrochenen Zeitstandversuch Inhaltsverzeichnis 1 Notwendigkeit 2 Zeitdehnungskurven 3 Versuchstechnik 4 Anwendung Richtlinien und Empfehlungen 5 Literatur 6 EinzelnachweiseNotwendigkeit BearbeitenDie Notwendigkeit des Zeitstandversuchs ist in der Tatsache begrundet dass Werkstoffe sich bei langanhaltenden statischen Belastungen bei erhohten Temperaturen anders verhalten als bei der gleichen Belastung bei Raumtemperatur Man beobachtet bei diesen erhohten Temperaturen bereits bei Spannungen unterhalb der Streckgrenze ohne Laststeigerung nach gewisser Zeit eine langsame aber stetige irreversible plastische Verformung welche mit Kriechen englisch creep bezeichnet wird und nach genugend langer Belastungszeit zum Bruch der Probe fuhrt Dieses Verhalten ist darauf zuruckzufuhren dass bei Hochtemperaturbeanspruchung alle Gefugemechanismen thermisch aktiviert ablaufen Allgemein tritt dieser Effekt bei Temperaturen bis etwa 30 der Schmelztemperatur Ts ein Steigt die Temperatur uber etwa 40 Ts so gibt das Metall unter konstanter Spannung plastisch nach 1 Bis in die 1930er Jahre ging man von der Annahme aus dass es bei erhohten Temperaturen eine minimale Festigkeitsgrenze Dauerstandfestigkeit gibt ahnlich der Dauerfestigkeit 1941 wiesen A Thum und K Richard Institut fur Werkstoffkunde IfW Technische Hochschule Darmstadt nach dass es bei hohen Temperaturen keine Dauerfestigkeit gibt und dass Kurzzeitversuche nicht geeignet sind um das Werkstoffverhalten bei Hochtemperaturbeanspruchung zu beschreiben Dies war der Startpunkt fur umfangreiche und systematische Langzeituntersuchungen und fur die Entwicklung einer experimentellen Methode zur Ermittlung von Langzeitkennwerten von Werkstoffen unter Hochtemperaturbeanspruchung Hieraus entstand der Zeitstandversuch der heute eines der wichtigsten Experimente zur Beschreibung des Hochtemperaturverhaltens von Werkstoffen darstellt und nach DIN EN ISO 204 genormt ist Zeitdehnungskurven BearbeitenDie Dehnung e bei einem Zeitstandversuch lasst sich meist in drei Bereiche aufteilen 1 primares Kriechen sinkende Kriechgeschwindigkeit e sekundares Kriechen konstante Kriechgeschwindigkeit e tertiares Kriechen steigende Kriechgeschwindigkeit e Diese drei Bereiche lassen sich in einem Diagramm erkennen in dem die Dehnung uber der Zeit aufgetragen wird Zeitdehnungskurve Versuchstechnik BearbeitenFur die Auslegung und den Betrieb von Hochtemperaturbauteilen wie Flugturbinenschaufeln oder Dampfturbinenrotoren sind langzeitig abgesicherte Werkstoffkennwerte erforderlich Daher mussen Hochtemperaturwerkstoffe in Zeitstandversuchen bis zu 100 000 h ca 12 Jahre und langer gepruft werden was eine grosse versuchstechnische Herausforderung darstellt da alle Versuchsparameter uber viele Jahre prazise konstant gehalten werden mussen Fur die Zeitstandprufung wurden daher spezielle Prufmaschinen entwickelt siehe Bild nbsp Einzel und Vielprobenprufmaschine fur ZeitstandversucheIm Zeitstandversuch wird eine Probe statisch bei konstanter Spannung unter konstanter hoher Temperatur belastet und dabei die Dehnung uber der Beanspruchungszeit gemessen Die gemessene Dehnung zeigt dabei einen charakteristischen Verlauf der als Kriechkurve bezeichnet wird s Kriechen Werkstoffe Als Ergebnis werden im Zeitstandversuch folgende Kennwerte ermittelt Beanspruchungszeit bis zum Bruch t u displaystyle t u nbsp Zeitstandfestigkeit R u t T displaystyle R u t T nbsp Zeitdehngrenzen R p e displaystyle R p varepsilon nbsp Hochtemperaturdehnungsbetrage zum Beispiel Kriechdehnung e f displaystyle varepsilon f nbsp bleibende Dehnung e p e r displaystyle varepsilon per nbsp plastische Anfangsdehnung e i displaystyle varepsilon i nbsp anelastische Ruckdehnung e k displaystyle varepsilon k nbsp Die Durchfuhrung im Zeitstandversuch erfolgt in folgenden Schritten Erwarmung der Probe auf Pruftemperatur Probe Einspann und Prufteile und Wegaufnehmer sind ins therm Gleichgewicht zu bringen Abgleich der Wegmessung Aufbringen der Pruflast Versuchsdurchfuhrung bis Versuchsende bei konstanter Prufkraft und konstanter Temperatur Der Bruch der Probe stellt in der Regel das Versuchsende dar Aber auch das Erreichen einer bestimmten Kriechdehnung oder einer bestimmten Beanspruchungszeit kann das Ziel des Zeitstandversuchs sein In diesem Fall wird die Probe nach Erreichen des Versuchsziels entlastet und ausgebaut In Einzelprufmaschinen lassen sich ein bis zwei Proben gleichzeitig prufen Die Dehnungsmessung kann hier aber kontinuierlich mit speziellen Dehnungsaufnehmern erfolgen was zum einen eine hohe Prazision der Dehnungsmesswerte und zum anderen eine hohe Messrate mit hoher Datenbelegung der Kriechkurve erlaubt Nachteilig ist hier jedoch der hohe versuchstechnische Aufwand bei Langzeitversuchen bei dem eine einzelne Probe uber Jahre hinweg eine Einzelprufmaschine belegt Diese nichtunterbrochene Versuchstechnik wird daher in der Regel fur kurzzeitige Versuche bis ca 1 000 h Beanspruchungszeit zur Bestimmung des Primarkriechbereichs verwendet In Vielprobenprufmaschinen konnen bis zu 60 Proben und mehr gleichzeitig bei einer Temperatur gepruft werden was einen erheblichen Kostenvorteil bringt Die Proben sind hier in Prufstrangen zusammengefasst die mit einer definierten Prufkraft belastet werden Durch unterschiedliche Prufdurchmesser der Zeitstandproben konnen daruber hinaus in einem Prufstrang unterschiedliche Prufspannungen getestet werden Die Dehnungsmessung kann in Vielprobenprufmaschinen jedoch nicht mit Dehnungsaufnehmern erfolgen so dass eine kontinuierliche Dehnungsmessung nicht moglich ist Daher werden in Vielprobenprufmaschinen die Zeitstandversuche in der unterbrochenen Pruftechnik durchgefuhrt bei der zu bestimmten Zeiten zum Beispiel nach 1 000 h ein kompletter Prufstrang aus der Vielprobenprufmaschinen gezogen wird der dann nach dem Abkuhlen auf Raumtemperatur zerlegt wird Die entsprechenden Zeitstandproben werden dann mit einem Messmikroskop optisch vermessen Anschliessend wird der Prufstrang wieder zusammengesetzt in die Vielprobenprufmaschine eingesetzt und nach Erreichen der Pruftemperatur wieder mit der Prufkraft belastet Die unterbrochene Versuchtechnik liefert daher sehr viel weniger Dehnungsmesspunkte als die nichtunterbrochene Versuchstechnik in Einzelprufmaschinen Die unterbrochene Versuchtechnik kommt daher fur Langzeitversuche von 1 000 bis 200 000 h 24 Jahre zum Einsatz Durch Kombination der beiden Versuchstechniken Anfahren des Zeitstandversuchs in Einzelprufmaschinen bis zum Erreichen des sekundaren Kriechbereichs und dann Umbau und Fortsetzung des Versuchs in der Vielprobenprufmaschine lasst sich ein guter Kompromiss zwischen hoher Datenbelegung einerseits und kosteneffektiver Durchfuhrung von Langzeitversuchen andererseits erreichen Die Durchfuhrung von normgerechten Zeitstandversuchen erfordert sehr viel Know how und Erfahrung Dies betrifft vor allem die Messung und Regelung der Pruftemperatur die den wichtigsten Einflussfaktor auf das Messergebnis darstellt Eine qualitatsgesicherte Kalibrierprozedur fur Thermoelemente und Temperaturmesskreise ist dazu unverzichtbar Bei einer Temperatur unterhalb von 600 C ist ein maximaler Temperaturunterschied von 3 K bei einer Temperatur oberhalb von 800 C ein maximaler Temperaturunterschied von 5 K zugelassen 1 Weiterhin sind umfangreiche Erfahrungen mit der Langzeitpruftechnik den Einflussgrossen der Probengeometrie den Belastungsprozeduren der Ermittlung von Messunsicherheiten und nicht zuletzt dem Werkstoffverhalten unter Hochtemperaturbeanspruchung wesentlich fur die Ermittlung belastbarer Zeitstandkennwerte Die Zeitstandversuche werden in speziellen Hochtemperaturlabors durchgefuhrt die entsprechende apparative Ausstattungen Kalibriereinrichtungen und Know how besitzen Diese Hochtemperaturlabore sind in Forschungseinrichtungen und bei Werkstoff und Bauteilherstellern eingerichtet Wahrend beim Zeitstandversuch die Spannung konstant gehalten wird und die Veranderung der Dehnung gemessen wird findet der verwandte Relaxationsversuch bei konstanter Dehnung statt und ermittelt die Anderung der Spannung Anwendung Richtlinien und Empfehlungen BearbeitenDie Ergebnisse aus den Zeitstandversuchen sind in der Regel besonders wertvoll da die Zeitstandversuche oft viele Jahre dauern und deshalb in einem bestimmten Zeitraum nur eine begrenzte Anzahl von Versuchsergebnissen wie zum Beispiel die Beanspruchungszeit bis zum Bruch oder bis zu einer definierten Dehngrenze ermittelt werden konnen Zum anderen sind Langzeitstandversuche mit hohem versuchstechnischem und daher auch finanziellem Aufwand verbunden Die Ergebnisse dieser Versuche konnen in Diagrammen wie dem Zeitstandschaubild oder dem Zeitdehnschaubild dargestellt werden 1 Diese Diagramme konnen heute fur viele Werkstoffe aus Tabellenwerken entnommen werden und sind Grundlage der Hochtemperaturbauteilauslegung Da Hochtemperaturbauteile hochsten Sicherheitsanforderungen genugen mussen fallt der Qualitatssicherung der Zeitstandversuchstechnik eine besondere Rolle zu Uber die Prufnorm DIN EN ISO 204 hinaus sind daher auf nationaler und internationaler Ebene Richtlinien und Empfehlungen zum Zeitstandversuch erarbeitet worden die zum einen vergleichbare und belastbare Versuchsergebnisse der Zeitstandlabore gewahrleisten zum anderen die Auswertung und Bewertung der Versuchsergebnisse fur die Ermittlung von Werkstoffkennwerten unterstutzen sollen Auf nationaler Ebene sind Richtlinien zur Durchfuhrung und Auswertung von Zeitstandversuchen innerhalb der Arbeitsgemeinschaften warmfeste Stahle AGW und Hochtemperaturwerkstoffe AGHT die einen Zusammenschluss von Werkstoffherstellern Anlagenherstellern Forschungseinrichtungen und Fachverbanden darstellen erarbeitet worden Die Arbeitsgemeinschaften AGW und AGHT waren weltweit die ersten Einrichtungen zur Gemeinschaftsforschung auf dem Gebiet der Hochtemperaturwerkstoffe und ermitteln seit Jahrzehnten besonders langzeitige Zeitstanddaten Im Rahmen der europaischen Arbeitsgemeinschaft ECCC sind Empfehlungen zur Durchfuhrung und Auswertung von Zeitstandversuchen entwickelt worden Hierbei sind auch die Erfahrungen der Arbeitsgemeinschaften AGW AGHT eingeflossen Sowohl die Arbeiten der Arbeitsgemeinschaften AGW AGHT als auch die der europaischen Arbeitsgemeinschaft ECCC werden in den Normungsorganisationen berucksichtigt Literatur BearbeitenA Thum K Richard Versprodung und Schadigung warmfester Stahle bei Dauerbeanspruchung In Arch f d Eisenhuttenw 15 1941 S 33 45 K H Kloos J Granacher A Scholz R Tscheuschner Prufung metallischer Werkstoffe bei hohen Temperaturen Teil 1 Warmzugversuch und Zeitstandversuch in Einzel und Vielprobenprufmaschinen In Materialpruf 30 1988 S 93 98 Teil 2 Besondere Probleme des Zeitstandversuchs und Entspannungsversuchs In Materialpruf 30 1988 S 151 55 J Granacher Zur Ubertragung von Hochtemperaturwerten auf Bauteile In VDI Berichte Nr 852 1991 S 325 52 A Scholz M Schwienheer C Berger Hochtemperaturprufung metallischer Werkstoffe Pruftechnik Normung Datenmanagement und Auswertung Vortrag auf der 25 Vortragsveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft fur warmfeste Stahle und Hochtemperaturwerkstoffe am 22 November 2002 in Dusseldorf Tagungsband Hrsg VDEh Dusseldorf 2002 S 77 90 A Scholz M Schwienheer F Muller S Linn M Schein C Walther C Berger Hochtemperaturprufung Ein Beitrag zur Werkstoffentwicklung und qualifizierung sowie Simulation der Bauteilbeanspruchung In Mat wiss u Werkstofftechn 2007 38 No 5 S 372 78Einzelnachweise Bearbeiten a b c d Christoph Broeckmann Paul Beiss Werkstoffkunde I Institut fur Werkstoffanwendungen im Maschinenbau der RWTH Aachen Aachen 2016 S 30 39 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