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Szenisches Spiel ist ein von Ingo Scheller entwickeltes theaterpadagogisches Konzept bei dem soziale Prozesse und die zwischenmenschliche Auseinandersetzung im Vordergrund stehen Er stutzt sich dabei auf die Theatertheorien von Konstantin Stanislawski Lee Strasberg Bertolt Brecht und Antonin Artaud sowie auf die padagogischen Herangehensweisen von Augusto Boal Jacob L Moreno und Keith Johnstone Inhaltsverzeichnis 1 Szenisches Spiel als Lernform 1 1 Szenisches Erkunden 1 2 Szenisches Einfuhlen 1 3 Szenisches Reflektieren 1 4 Szenisches Verandern 2 Rezeption 3 Literatur 4 EinzelnachweiseSzenisches Spiel als Lernform BearbeitenNach Schellers Ansatz soll durch eine Konfrontation mit einer fremden Figur die aber unter Ruckgriff auf eigene Erlebnisse und Gefuhle passiert eine Aussensicht auf sich selbst eingenommen und so Wahrnehmungsprozesse verfeinert werden Auch sollen dadurch ansozialisierte Kategorien reflektiert und als veranderbar erfahren werden Im Wechselspiel von Ich und Rolle konnen in dieser Weise Abgrenzungen und Polarisierungen in Frage gestellt und der Blick fur die vielfaltigen Schattierungen und Ambivalenzen in uns und unseren Beziehungen zu unserer sozialen Umwelt geoffnet werden 1 Die Lernenden sollen sich von der Rolle der Konsumenten verabschieden konnen und zu Beteiligten werden in denen ihre Erfahrungen Erlebnisse und Emotionen als Basis fur die Erforschung des Lehrinhaltes dienen Es geht Scheller nicht darum geeignete Methoden zu entwickeln um schauspielerisches Know how zu vermitteln sondern Lern und Erkenntnisprozesse anzustossen in denen korperliche und sprachliche Ausdrucks und Verhaltensweisen der Lernenden als Grundlage fur den Erkenntnisprozess betrachtet werden und der zu vermittelnde Stoff nicht nur durch Abstraktion verinnerlicht werden muss und zu affektneutralem Stoff gerinnt Tanja Bidlo Theaterpadagogik Einfuhrung 2 Das szenische Spiel wird von Scheller in vier Intentionen unterschieden Szenisches Erkunden Szenisches Einfuhlen Szenisches Reflektieren und Szenisches Verandern Szenisches Erkunden Bearbeiten Das szenische Erkunden geht der szenischen Darstellung als eine Art Vorbereitung voraus und soll dazu dienen die eigene Wahrnehmung zu verfeinern und die Umwelt aufmerksamer zu erkennen Scheller nennt insgesamt 18 zu erkundende Bereiche Raume Gegenstande Gerausche Musikalische Ausdrucksformen Zeit Korperhaltungen Gestik und Mimik Sprechhaltungen Handlungen Interaktionen Situationen Vorstellungen Einstellungen Gefuhle Wunsche Statusverhalten und Habitus Er nennt zu jedem Bereich mehrere Ubungen fur die Praxis Ein Beispiel fur das Erkunden von Gestik und Mimik ist das Imitieren derselben ausgehend von einem Bild einer bestimmten Gruppe z B Politiker Lehrer Anschliessend soll in der Gruppe uber entdeckte Gemeinsamkeiten diskutiert und danach einer Beobachtergruppe die Gestik Mimik vorgestellt werden Diese soll erraten welche Personengruppe dargestellt ist Scheller nennt diese Ubung Kollektive Gesten erproben 3 Szenisches Einfuhlen Bearbeiten In diesem Teil lehnt sich Scheller stark an die Schauspieltheorien Stanislawskis und Strasbergs an Beim szenischen Einfuhlen geht es darum in der fremden Rolle eigene Elemente zu entdecken um die Rolle besser nachvollziehen zu konnen Es geht aber nicht wie bei Stanislawski und Strasberg darum eine Rolle besonders authentisch darzustellen und eins mit ihr zu werden sondern um ein Entdecken des Unvertrauten 4 Scheller handelt das Einfuhlen in Rollen und das Einfuhlen in Situationen ab Bei ersterem geht es darum ein moglichst genaues Bild einer darzustellenden Person zu entwickeln Dies kann beispielsweise uber das Schreiben einer Rollenbiografie oder uber das Erarbeiten von charakteristischen Korperhaltungen passieren Weiters kann es hilfreich sein wiederkehrende Gedanken und Gefuhle der Person zu suchen oder zentrale Lebensbereiche und probleme anzusprechen und zu behandeln Auch das Fuhren eines Interviews mit dem Spielenden in der Rolle ist eine von Scheller genannte Option Um sich in Situationen einzufuhlen nennt er unter anderem die Ubung im Vorhinein die Intentionen und Motive der Person festzulegen was einer Behandlung des sogenannten Subtextes gleichkommt Es geht darum das eigentlich Gesagte wahrzunehmen und verkleidende Sprache zu entlarven Szenisches Reflektieren Bearbeiten Die szenische Reflexion dient der Untersuchung des Gezeigten respektive des Gesehenen Es geht darum die sozialen Situationen Handlungen Haltungen und Beziehungen in ihrer Entstehung ihrem Verlauf und ihrer Wirkung zu betrachten und daruber gemeinsam zu reflektieren 5 Scheller unterteilt die Reflexion in drei Bereiche die selbstverstandlich miteinander in Beziehung stehen Rollenreflexion Spielende sollen sich aus der Rolle heraus mit der gespielten Situation den Mitspielenden und dem eigenen Handeln auseinandersetzen Dabei konnen Ubungen hilfreich sein wie etwa im Spiel unterdruckte Gefuhle der Rolle auszuagieren oder das eigene Verhalten aus einer Fremdperspektive zu bewerten Beobachterreflexion Die Beobachtergruppe erhalt hier die Moglichkeit das Gesehene wiederzugeben zu interpretieren und gegebenenfalls auch zu diskutieren Etwa konnen zentrale Momente der Szene mit Standbildern gezeigt oder Beziehungsstrukturen sichtbar gemacht werden Bei letzterer Ubung werden fur die betreffenden Rollen charakteristische Haltungen eingenommen und durch einen Satz markiert 6 Spielerreflexion Die Spielenden treten nun aus ihren Rollen heraus und sprechen als Privatpersonen uber ihre Erfahrungen beim Spiel Dabei kann zum Beispiel das Herausstreichen von Differenzen von Spieler und Rolle wichtig sein um sich abzugrenzen wobei es aber nicht darum geht sich zu rechtfertigen Szenisches Verandern Bearbeiten In diesem Punkt kommt Ingo Schellers Beschaftigung mit Augusto Boal und dem Theater der Unterdruckten deutlich zum Tragen Das szenische Verandern arbeitet oft eng an der eigenen Person der Spielenden daher warnt Scheller auch davor sich aufgrund einer zum Positiven veranderten Spielsituation zu grosse Hoffnungen fur Realsituationen zu machen da diese in der Regel von so vielen subjektiven und objektiven Bedingungsfaktoren 7 abhangt dass eine Veranderung anders und langsamer vonstattengehen kann Eine Ubung fur diesen Bereich sind etwa Wunschhaltungen darstellen und ausprobieren bei der verschiedene eigene Wunschhaltungen und satze von Beobachtern ubernommen werden der Spielende dadurch selbst von aussen beobachten kann und sich schliesslich fur die wirkungsvollste Methode entscheidet und sie selbst ausprobiert Eine weitere Ubung ist das Ausagieren unterdruckter Gefuhle Rezeption Bearbeiten Die Darstellung selbst ist in die Intentionen integriert und hat insofern weder eigenen asthetischen Stellenwert noch Aussage Auch wird an keinem kunstlerischen Eigenprodukt gearbeitet und asthetisch bildende Impulse sind untergeordnet Allein der padagogische Prozess steht im Mittelpunkt des szenischen Lernens Bezuglich seiner Zielgruppe formuliert Scheller dass das szenische Spiel gerade durch das korperlich emotionale Ausdrucksverhalten auf dem ein Schwerpunkt liegt auch Schuler aus bildungsfernen Niveaus zu erreichen vermag Er geht hieruber allerdings weit hinaus wenn er das szenische Spiel als eine Lernform vorstellt die sowohl in Schule und Hochschule wie auch in der Sozialarbeit der Weiterbildung der Supervision und weiteren Feldern einen Platz finden konnte Tanja Bidlo Theaterpadagogik Einfuhrung 8 Literatur BearbeitenTanja Bidlo Theaterpadagogik Einfuhrung Oldib Verlag Essen 2006 Scheller Ingo Szenisches Spiel Handbuch fur die padagogische Praxis Cornelsen Berlin 1998 Scheller Ingo Erfahrungsbezogener Unterricht Theorie Praxis Planung Scriptor Frankfurt 1981 Scheller Ingo Szenische Interpretation von Dramentexten Materialien fur die Einfuhlung in Rollen und Szenen Schneider Verlag Hohengehren Baltmannsweiler 2008 Scheller Ingo Angelika I Muller Das Eigene und das Fremde Fluchtlinge Asylbewerber Menschen aus anderen Kulturen und wir Das szenische Spiel als Lernform BIS Verlag der C v Ossietzky Universitat Oldenburg ebenda 1993 Uta Oelke Gisela Ruwe Ingo Scheller Tabuthemen als Gegenstand szenischen Lernens in der Pflege Theorie und Praxis eines neuen pflegedidaktischen Ansatzes Verlag Hans Huber Bern Gottingen Toronto Seattle 2000 Einzelnachweise Bearbeiten Scheller S 27 Bidlo S 94 Vgl Scheller S 92 Bidlo S 99 Scheller S 129 Scheller S 138 Scheller S 142 Bidlo S 103 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Szenisches Spiel amp oldid 188135767