Innerhalb der Psychologischen Diagnostik bezieht sich die Anamneseerhebung auf das Erfragen der Kranken- bzw. Vorgeschichte der untersuchten Person.
Begriffsbestimmung Bearbeiten
Etymologie: Griechisch „anamnesis“ = die Erinnerung
Unter Anamnese versteht man die Vorgeschichte eines Tatbestands, insbesondere einer Erkrankung oder einer Störung.
Da es innerhalb der Psychologischen Diagnostik nicht nur um den klinischen Bereich geht, wird aus Gründen der Präzision empfohlen, anstatt von „(psychologischer) Anamnese“ besser von der „Sammlung der typischerweise mit dem gegebenen Sachverhalt in Verbindung stehenden Informationen“ zu sprechen.
Von Interesse sind dabei biologische, psychosoziale und psychische Chancen oder Risiken.
Arten der Anamnese Bearbeiten
Themen Bearbeiten
Die Sammlung der typischerweise mit dem gegebenen Sachverhalt in Verbindung stehenden Informationen kann auf unterschiedlichen theoretischen Ausrichtungen (z. B. Psychotherapieformen) beruhen.
Boerner führt die folgenden relevanten Bereiche an:
Techniken Bearbeiten
Nach Kubinger unterscheidet sich die Durchführung der Anamneseerhebung nach:
1. dem Grad der Strukturiertheit (Standardisierung):
2. Schriftlicher versus mündlicher Befragung
3. Eigen- oder Fremdanamnese
4. Positionierung innerhalb des diagnostischen Prozesses.
Regeln Bearbeiten
- Schaffung einer Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens
- Anstreben eines partnerschaftlichen Verhältnisses mit den Klienten
- Sensibilisierung gegenüber der eigenen Beobachtungsgabe und Beurteilungsweise
- Forderung nach Selbstkritikfähigkeit, -erfahrung und -infragestellung
- Beachtung von „Lasterkatalogen“ (Monologisieren, Dogmatisieren, Distanzieren, Involvieren, Bewerten, Etikettieren, Bagatellisieren u.a.m)
- kurze und verständliche Erklärungen
- einfaches, klares und genaues Deutsch
- Vermeidung von Fremdwörtern und Fachausdrücken
- Vermeidung von Suggestivfragen
Sonstiges Bearbeiten
Da die Daten, die in der Anamneseerhebung gewonnen werden, Bestandteil des diagnostischen Prozesses sind und wesentlich zur diagnostischen Urteilsfindung beitragen, ist die Anamnese ebenfalls im Hinblick auf die Testgütekriterien zu bewerten.
Häufige Ursachen für Versäumnisse bei der Sammlung der typischerweise mit dem gegebenen Sachverhalt in Verbindung stehenden Informationen:
- Anstatt von Hypothesenbildung samt systematischer Überprüfung erfolgt der Behandlungszugang aufgrund von Spekulationen
- Routinebedingte „Betriebsblindheit“
- Zeitdruck
Diverse publizierte Anamnesefragebogen unterstützen das Abfragen der interessierenden Fakten, z. B.
- „Anamnestischer Elternfragebogen“ von Deegener
- Existenzanalytische Exploration von Wurst, Leiss, Polacek, Herle & Tutsch
- Systemisch Orientiertes Erhebungsinventar von Kubinger
Siehe auch Bearbeiten
Einzelnachweise Bearbeiten
- K. D. Kubinger: Psychologische Diagnostik: Theorie und Praxis psychologischen Diagnostizierens. 2. überarb. und erw. Auflage. Hogrefe, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8017-2254-8, S. 11.
- ↑ K. D. Kubinger: Anamnese. In K. D. Kubinger, R. S. Jäger (Hrsg.): Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik. Beltz, Weinheim 2003, ISBN 3-621-27472-3, S. 13–19.
- ↑ H. Häcker, K. H. Stapf (Hrsg.): Dorsch Psychologisches Wörterbuch. 15. Auflage. Huber, Bern 2009, ISBN 978-3-456-84684-2.
- ↑ K. D. Kubinger, G. Deegener: Psychologische Anamnese bei Kindern und Jugendlichen. Hogrefe, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8017-1278-5.
- ↑ K. D. Kubinger: Psychologische Diagnostik: Theorie und Praxis psychologischen Diagnostizierens. 2. überarb. und erw. Auflage. Hogrefe, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8017-2254-8.
- K. Boerner: Das psychologische Gutachten. Ein praktischer Leitfaden. 7. erw. Auflage. Beltz, Weinheim/ Basel 2004, ISBN 3-407-22163-0, S. 19.
- ↑ K. Westhoff, M. L. Kluck: Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen. 3. Auflage. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-64372-9.